Filmkommentar zu dem Film ãDer Tanz mit dem TodÒ von Eckhard Blach

 

ãIm 14. und 15. Jahrhundert zogen Wellen der Pest durch Europa. Mit ihnen verbreitete sich die Idee des Totentanzes. Unter den Arkaden eines Beinhauses in Paris wurde 1424 ein Totentanz an die Mauer gemalt. Halbverweste Leichen tanzten mit Lebenden aller StŠnde. 1464 erreichte die Pest die Hansestadt LŸbeck. Zwei Jahre spŠter wurde hier zum ersten Mal ein TotentanzgemŠlde in einer Kirche angebracht, in der Kaufmannskirche St. Marien. Die Gemeinschaft der Vikare hatte den jungen Bernt Notke mit der Arbeit beauftragt.1

Der Totentanz sollte die Menschen an die Pest erinnern und zur Bu§e bewegen, damit sie nicht unvorbereitet zu sterben hŠtten. É

Bernt Notke malte den Totentanz fŸr die Beichtkapelle der Marienkirche, die seither Totentanzkapelle genannt wird.

Im Zuge einer spŠteren Restaurierung wurde das erste Viertel des GemŠldes abgenommen. Vermutlich hat ein Kaufmann aus der Hansestadt Reval dieses Teil erworben und dort der Nikolaikirche gestiftet, in deren BŸchern es 1603 erstmals erwŠhnt wird. Die restlichen drei Viertel des GemŠldes sind verschollen. Der einzige Teil befindet sich heute in Tallinn, dem frŸheren Reval. Es hat eine LŠnge von 7 Metern 50 und eine Hšhe von einem Meter 66. Eingeleitet vom Prediger stehen Papst, Kaiser, Kaiserin, Kardinal und Kšnig. Im Spruchband darunter verteidigen sich jeweils die Sterbenden und der Tod urteilt Ÿber sie.ÉDas TotentanzgemŠlde ist Bernt Notkes erstes bekannte Werk. Mit der ursprŸnglichen LŠnge von 30 Metern, aber auch als Fragment ist es das frŸheste gro§formatige Leinwandbild seiner Zeit. Mit ihm gelang Notke der Aufstieg vom Handwerker zum Gro§unternehmer. Seine Werkstatt wurde in das Amt der Kirchenmaler aufgenommen. Er fŸhrte den bedeutendsten Kunstbetrieb im gesamten Ostseeraum. Der Totentanz war auch der Anfang eines Lebenswerkes, das sich immer wieder auf den Tod bezog. Sein zweites gro§es Werk, das Triumphkreuz im LŸbecker Dom, wurde als Grabmal in Auftrag gegeben. Wieder gilt es in Ausma§ und technischer AusfŸhrung als ungewšhnlich und wieder findet sich in den Gesichtern die unterschiedliche Begegnung mit dem Tod.

Im Zuge der Reformation verlor der eigentliche Zweck des TotentanzgemŠldes an Bedeutung: zur Bu§e und zum Abla§ zu bewegen. Dennoch wurde es wiederholt restauriert und schlie§lich 1701 durch eine Kopie ersetzt. Es ging bereits um die Erhaltung eines Kulturgutes. Der Kirchenmaler, Anton Wortmann, erstellte eine ungenaue und dem Zeitgeschmack angepa§te Kopie. Der erste Tod bekam einen Barockhut. Auf ganzer LŠnge wurde 30 cm Himmel angestŸckt und die Texte wurden neu gedichtet.É

'Das ist der berŸhmte Tod aus LŸbeck', schrieb ein Reisender 1884 zu seiner Zeichnung in ein GŠstebuch. Nach dem Ersten Weltkrieg hŠuften sich die Darstellungen des Totentanzes. Asmus Jessen zeichnete die Totentanzkapelle. Bei der 700 Jahrfeier LŸbecks 1926 gestaltete Alfred Mahlau einen historischen Festumzug. Er lie§ den Schwarzen Tod als Zeichen der Pest und den Totentanz durch die Stra§en ziehen. Das GemŠlde ist selbst Stadtgeschichte geworden. Asmus Jessen zeichnet 1934 wieder die Totentanzkapelle, dieses Mal die Toten auf die eine Seite, die Lebenden auf die andere. Im selben Jahr wurde Hugo Distlers Totentanz urauf- gefŸhrt.ÉHugo Distler war von 1931 bis 1937 Organist an der LŸbecker Jakobikirche. Den Totentanz komponierte er im Alter von 26 Jahren.É2

Bei der nationalsozialistischen Sonnenwendfeier 1935 wird ein Totentanz vor dem Holstentor aufgefŸhrt, ein 'Weihespiel zum GedŠchtnis unserer toten Helden'.3 Die KostŸme entwirft Alfred Mahlau. 'Der Held im Stahlhelm Ÿberwindet den Tod'.

'Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde'É

Das TotentanzgemŠlde verbrennt 1942 beim Bombenangriff auf LŸbeck. Die Marienkirche wird weitgehend zerstšrt. Der Organist der Kirche, Walter Kraft, stellt 1954 einen Totentanz fertig als ein mehrstŸndiges szenisches Oratorium.

1953 veršffentlicht der Schriftsteller, Hans Henny Jahnn, eine Ÿberarbeitete Fassung eines TotentanzstŸckes, das er 1931 geschrieben hat. 'Der Neue LŸbecker Totentanz' ist fŸr die Kulissen der Stadt konzipiert, aber nie dort aufgefŸhrt worden.

1952 wird Alfred Mahlau mit der Gestaltung der beiden Fenster der Totentanzkapelle beauftragt. Er wŠhlt das Motiv des Totentanzes. Die Stifter erklŠren sich einverstanden, beanstanden aber die vielen Tode und deren Farbigkeit.4 Alfred Mahlau ist Professor an der Landeskunstschule in Hamburg.ÉEr ist in den 20er Jahren als Grafiker bekannt geworden. Er entwarf unter anderem eine eigene Schrift und das Design der LŸbecker Marzipanfirma Niederegger.

Einer seiner SchŸler ist Horst Janssen. Er arbeitet immer wieder am Motiv des Totentanzes, in einer Zeit, in der das Skelett nur noch ein vielbemŸhtes Symbol ist. Am Neujahrstag 1986 erscheint ein Buch mit einem Text zur allgemeinen Geschichte der TotentŠnze und mit 36 Aquarellen von Horst Janssen, einem Totentanz 'in spe'. An diesem Tag spricht er in der Marienkirche seine Hommage an den Tod.5 Ò

 

Filmkommentar erstellt von Eckhard Blach unter Mitwirkung von Claudia Beelitz (ãDer LŸbecker Totentanz – Von der Mahnung zum Denkmal', LŸbeck 1986). Siehe weiterhin: die Untersuchung von Max Hasse (Zeitschrift des Dt. Vereins fŸr Kunstwissenschaft, Bd. 24, Jg. 1970) und die Veršffentlichungen von Hartmut Freytag (ãDer Totentanz in der Marienkirche zu LŸbeck und seine 500jŠhrige RezeptionÒ, LŸbeckische BlŠtter 16/89 u. ãDer LŸbecker und der Revaler TotentanzÉÒ, LŸbeckische BlŠtter 4/92). Horst Janssens Zeichnungen in Joachim Fest: Der tanzende Tod, LŸbeck 1986, seine Rede in ÒHommage ˆ Tannewetzel', Hamburg, LŸbeck 1987.



1 Nach Hartmut Freytag wurde der Totentanz 1463 gemalt und das in Tallinn erhaltene Fragment ist eine Neubearbeitung Notkes fŸr Revaler Stifter. Er nennt ãden Rat beziehungsweise eine oder mehrere Ratsfamilien als Auftraggeber und einen oder auch eine Gruppe Franziskaner als Vermittler und DichterÉÒ

 

2 Bruno Grusnick Ÿber Hugo Distler

ãFŸr sein Leben war der letzte Spruch aus seinem 'Totentanz' das fŸr ihn innerlich Bewegendste:

'Die Seele, weil sie ist geborn zur Ewigkeit,

hat keine wahre Ruh in Dingen dieser Zeit.

Drum ist's verwunderlich, da§ du die Welt so liebst,

und aufs VergŠngliche dich allzusehr begibst.

 

3 Wolfgang Schulz: ãDes Todes und des Lebens ReigenÒ

ãÉDer Held marschierte inmitten seiner soldatischen Kameraden. Gleichzeitig glŸhte es in den Fensterhšhlen der Salzspeicher rot auf, suggestiv die Vorstellung des Krieges, einer zerschossenen Stadt erweckend.Ò

(LŸb. Generalanzeiger, 25.6.1935)

 

4 Alfred Mahlau: Zwei Totentanzfenster 1955/56

ãHerr DirektorÉhat inzwischen dieselben Bedenken wie Herr DirektorÉgeŠu§ert. Er hat Herrn Dr.ÉgegenŸber zum Ausdruck gebracht, da§ man doch in dem Fenster nicht so viele Todesfiguren nehmen solle, sondern vielleicht abwechselnd 2 Figuren der StŠnde mit einer Todesfigur in der Mitte. Bevor Herr DirektorÉsein endgŸltiges Ja gibt, bat er um Vorlage des neuen Entwurfs.ÉÒ(26.2.1953)

 

5 ãWieso haben denn unsere VorvŠter sich diesen Kerl hingemalt, ohngeachtet all' dessen, was sie als ihre jeweiligen Katastrophen und WeltuntergŠnge verstehen MUSSTEN!? Nun – ihnen war noch gegeben, PhŠnomene ins menschliche Mass zu bringen. Sie waren noch in dem entscheidenen Gedanken – nein Wissen – nein: in der Wahrheit, dass QuantitŠt ihrem Wesen nach und ursŠchlich dem Menschen entgleitet.

...ÈWir+ Alles mŸssen sterbenÇ:

In dieser leeren Floskel vom PhŠnomen ist der Tod –

ist Gevatter Hein des Claudius und der Tannewetzel verschwunden, ist lexikalisch abgehakt.

Und der Kerl mit der Sense wird

mit einem blšden LŠcheln bedacht.Ò