Material
zum Film ãDer Tanz mit dem TodÒ von Eckhard Blach
LŸbecker Totentanz von Walter Kraft –
Auseinandersetzung mit einem Thema
Bearbeitung
und Inszenierung: Dr. Walter Hollender
Choreographie:
Juliane Rš§ler
Ausstattung:
Harald Stieger
Musikalische
Leitung: Kaus Meyers
TŠnzerinnen:
Tanz Companie LŸbeck, Shiao Ing Oei, Birgit Schmidt, Marietta HŸgelmann, Alicia
Adamska, Julia Linde
Der
alte Tod: Roland Nietzhold
Der
feiste Tod: Harald Maack
Johannes
der Offenbarung: Henner Leyhe
Solisten
Sopran:
Annette Brunsing
Alt:
Monika Degenhardt
Tenor:
Achim Kleinlein
Ba§:
Jost Salm
Chšre:
LŸbecker Bach – Chor, Jugendchor St. Aegidien LŸbeck
Orchester:
Kammerorchester pro musica
Orgeleinspielung:
Ernst–Erich Stender
Regie-
und BŸhnenbildassistenz: Tinus Alsdorf
Beleuchtung:
Jutta Hartmann, Wolfgang Riebesehl
Technische
Einrichtung: Christa Ernst, Klaus Meisel
KostŸmherstellung:
Britta Wenzkus
Ton:
Konni Lesser
Begleitmappe
Redaktion:
Eckhard Blach
Konzept
und Layout: SChLiPPe
AuffŸhrungsrechte:
Eva-Maria Kraft
Spieldauer:
Zwei Stunden ohne Pause
Premiere:
St. Petri LŸbeck, 8. Mai 1992
Diese
Inszenierung kam durch die Zusammenarbeit des Kuratoriums St. Petri und des
Amtes fŸr Kultur der Hansestadt LŸbeck zustande, im Gedenken an den Bombenangriff
auf LŸbeck, Palmarum 1942.
DarŸber
hinaus gilt unser Dank den BŸhnen der Hansestadt LŸbeck.
Wir
danken Herrn JŸrgen Schwarz, Stephan-Joachim Schmidt, Familie Fiedler, Herrn
Klempau und vielen hier nicht namentlich genannten Helfern.
Wir
danken dem Theater Combinale, der Tanz Werkstatt LŸbeck, der Stadtbibliothek,
den Vorwerker Heimen und al- len anderen Institutionen, die dieses Projekt
mšglich machten.
Unser
besonderer Dank gilt Frau Eva-Maria Kraft fŸr die †berlassung des
Notenmaterials und der AuffŸhrungsrechte.
Die
in den Totentanz von Walter Kraft eingebauten Zitate entstammen wšrtlich oder
in gedanklicher Anlehnung dem Neuen LŸbecker Totentanz von Hans Henny Jahnn.
ãDie
Menschheit tritt, unbestreitbar,
mit
Vorbelastungen in dies Zeitalter,
mit
abwegigen Vorurteilen, alten Grausamkeiten,
mit
gespenstischen UnnatŸrlichkeiten und
mit
unausgelšschter Dummheit.Ò
Hans
Henny Jahnn
TotentŠnze
markieren die Wende zum 15. Jahrhundert. Ausgehend von den ab der Mitte des 14.
Jahrhunderts alle 20 Jahre aufflammenden Pestepidemien, erscheint der Tod den
Menschen nicht mehr als natŸrliches Ende des Lebens, sondern als Angreifer, als
JŠger.
Die
Konfrontation mit dem Tod wird zum Anla§, das eigene Leben zu Ÿberdenken. Der
personifizierte Tod stellt Fragen, die beantwortet werden mŸssen. Und er kommt
plštzlich, soda§ es keine vorbereiteten Antworten gibt.
Vor
diesem Hintergrund lautet die Botschaft aller TotentŠnze: Lebt so, da§ ihr
jederzeit sterben kšnnt und die Seligkeit erlangt.
Doch
seit den Pestzeiten des Mittelalters haben wir uns entwickelt. Und unsere
Auseinandersetzung mit dem Tod hat sich verŠndert. Die vier apokalyptischen
Reiter, die Krieg, Unfrieden, Hunger und Tod bringen, verfŸgen nicht nur Ÿber
ein unendliches Zerstšrungspotential von biologischen, chemischen und atomaren
Waffen, sondern wir haben – obwohl immer noch Teil der Natur –
endlich die Mšglichkeit vor Augen, mit dieser Natur auch jede Form von
menschlichem Leben endgŸltig zu zerstšren.
Unsere
Endzeitvorstellung ist allumfassend, und vor diesem Hintergrund mutet uns die
Sinnfrage des individuellen Tods fast wie eine idyllische Vorstellung an.
Unsere
Auseinandersetzung mit dem LŸbecker Totentanz von Walter Kraft ist daher mehr
als eine Auseinandersetzung mit der Erinnerung an die Zerstšrung einer Stadt
oder an die Zerstšrungsorgie des zweiten Weltkriegs.
Sie
ist der Versuch einer Auseinandersetzung mit den ungeheuren
SelbstzerstšrungskrŠften, mit denen wir den Sensemann des Mittelalters und
seine individuelle Sinnfrage fast Ÿberwunden und ad absurdum gefŸhrt haben.
Dr.
Walter Hollender
ãVor
einigen Jahren besuchte ich Eva-Maria Kraft in der Abgeschiedenheit ihres
Landhauses bei Gro§ Gršnau. Ich war auf der Suche nach szenischen Werken fŸr
die Kirche.
Immer
wieder hatte ich vom ãLŸbecker TotentanzÒ ihres 1977 verstorbenen Mannes
gehšrt. Sie lieh mir bereitwillig die Kopie der handschriftlichen Partitur.
Zu
Hause schaute ich oft hinein und legte sie dann kopfschŸttelnd wieder weg.
Fremd war mir die musikalische und geistige Welt dieser Komposition:
Keine
richtige Oper, aber auch kein Oratorium. AnklŠnge an mittelalterliches
Mysterienspiel, doch bar jeglicher Dialoge. †bereinanderschichtung von
Textebenen, oft bis zu fŸnf oder sechs verschiedenen. Liturgische Elemente und
doch keine Gottesdienstmusik. TŠnze, aber weder Ballett noch Tanztheater.
Und
die Musik: so flŠchig und spršde, Ÿberhaupt nicht opulent!
So
gelangte die dickleibige Partitur bald wieder nach Gro§ Gršnau. Mir fehlte die
Antenne zu dieser Musik.
Doch
zwei Dinge haben mich nicht losgelassen. ZunŠchst:
Die
Figur des ãJohannes der OffenbarungÒ, dieses ekstatischen VisionŠrs mit seinen
aufrŸttelnden Bildern! Wem erzŠhlt er das alles? Wie reagieren die Menschen auf
seine faszinierende Gesichte?
ãSingt
aus einem Folianten vor der GemeindeÒ, so die Regieanweisung des Komponisten.
ãIm Gegensatz zu den Evangelisten (Soloquartett, Anm. d. Verfassers), die É als
Einzelgestalten sich unbewegt verhalten, wird É Johannes É zum ekstatischen
Mittler seiner Geschichte.Ò Wie wŠre es, wenn sich dieser Johannes von seinem
Folianten lšste und die Mittlerrolle wirklich spielte, wobei sein GegenŸber auf
ihn einginge, ihn ablehnte oder sich gar gleichgŸltig verhielte?
Dann:
Die
Musik der spŠtmittelalterlichen Meister Machault und Dunstable mit ihrem
archaischen Gestus, die Kraft hšchst originell in seine Musik einbaut und
variiert. Solch motettische Musik hat mit BŸhne nichts zu tun, sperrt sich
geradezu gegen eine Inszenierung. Aber sie ist grandios. Was passiert, wenn man
zu ihr auf der BŸhne spielt? Das mŸ§te sehr spannend sein.
ãPalmarum
1942 – 1992Ò gab den Ansto§, erneut Ÿber das Werk nachzudenken. Es traf
genau das Thema. Ich entschlo§ mich, den ãTotentanzÒ zu wagen, mich mit der
Musik auseinanderzusetzen, gerade weil sie mir zunŠchst nicht liegt.Ò
Klaus
Meyers (zum Anfang)
AufffŸhrungstext
Der
Text zur AuffŸhrung besteht in einer Montage von Walter Hollender aus
Regieanweisungen (kursiv), Walter Kraft's ãDer LŸbecker TotentanzÒ (fett) und
Hans Henny Jahnn's ãNeuer LŸbecker TotentanzÒ(normal).
Die
BŸhne ist dunkel.
Im
Kerzenlicht sieht man eine schwarze, bewegliche Masse, die sich allmŠhlich
spaltet. In groben Stufen entwickelt sich menschliches Leben.
ORGELTOCCATA
Mit
dem Einsatz der Orgel entwickelt sich der ãaufrechteÒ Gang, der am Ende der
Toccata sinnfŠllig wird. Der Mensch ist seiner selbst bewu§t und bereit, seinen
Platz in der Geschichte auszugestalten. er hŠlt ãEinzugÒ in seine bewu§t
gestaltete Welt.
EINZUG
Dieser
ãEinzugÒ ist identisch mit der kulturellen Entwicklung. Vor dem Hintergrund der
Musik entwickeln die TŠnzerinnen Formen und Rituale des gesellschaftlichen
Miteinanders, zunŠchst vorsichtig, tastend, dann immer stŠrker hierarchisch
organisiert, Spiele auf Herrschaft und UnterdrŸckung, auf Gro§ und Klein, auf
Oben und Unten, wobei sie ihre RollenidentitŠt gegen Ende immer
hŠufiger/schneller wechseln, vergleichbar den berŸhmten MŠntelchen, die man
sich umhŠngt. So werden die Einzelnen zunehmend austauschbar, und wir
entwickeln ãmoderneÒ Erfahrungsstrukturen. Das Ende dieser Phase ist eine
Eskalation der Aggression, in der jeder jeden beherrschen will. Todeserfahrung.
Chor:
Miserere,
miserere nobis!
Es
ist ein Schnitter
Auftritt
des individuellen Todes, Entdeckung des Todes, Angst, VerdrŠngung,
Todessehnsucht.
Chor:
Es
ist ein Schnitter, der hei§t Tod, hat GÕwalt vom gro§en Gott. Heut wetzt er das
Messer, es geht schon viel besser, bald wird er dreinschneiden, wir mŸssens
erleiden. HŸt dich, schšns BlŸmelein!
Der
grimmig Tod mit seinem Pfeil tut nach dem Leben zielen, seinÕn Bogen schie§t er
ab mit Eil und lŠ§t mit sich nicht spielen. Das Leben schwindÕt wie Rauch und
Wind, kein Fleisch mag ihm entrinnen, kein Gut noch Schatz findÕt bei ihm
Platz, du mu§t mit ihm von hinnen.É
Was
heut noch grŸn und frisch dasteht, wird morgen weggemŠht: die edlen Narzissen,
die himmlischen SchŸssel, die schšnÕn Hyazinthen, die tŸrkischen Winden. HŸt
dich, schšns BlŸmelein!É
Kein
Mensch auf Erd uns sagen kann, wann wir von hinnen mŸssen; wann kommt der Tod
und klopfet an, so mu§ man ihm aufschlie§en. Er nimmt mit GÕwalt hin jung und
alt, tut sich vor niemand scheuen. Des Kšnigs Stab bricht er bald ab und fŸhrt
ihn an den Reihen.É
Viel
hunderttausend ungezŠhlt, da unter die Sichel fŠllt, rot Rosen, wei§ Lilien,
beid wird er austilgen; und ihr Kaiserkronen, man wird euch nicht schonen. HŸt
dich, schšns BlŸmelein!
Der
dieses Liedlein hat gemacht, von neuem hat gesungen, der hat gar oft den Tod
betracht und letztlich mit ihm gerungen. Liegt jetzt im Hohl, es tut ihm wohl,
tief in der Erd verborgen. Sieh auf dein Sach, du mu§t hernach, es sei heut
oder morgen!
Hortatio
Die
Ermahnungen der Evangelisten sind Appelle gegen die VerdrŠngung des Todes. Sie
werden nicht gehšrt.
MatthŠus:
Selig
sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die
da Leid tragen; denn sie sollen getršstet werden. Selig sind die SanftmŸtigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.
Lukas:
Selig
seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Aber dagegen weh euch Reichen!
denn ihr habt euren Trost dahin.
MatthŠus:
Selig
sind eure Augen, da§ sie sehen und eure Ohren, da§ sie hšren.
Lukas:
Selig
ist, der das Brot isset im Reich Gottes.
Markus:
Wer
da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der
wird verdammt werden.
Johannes:
Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben!
Chor:
Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben!
Johannes
der Offenbarung
In
diese Situation interveniert Johannes als verzweifelter Vermittler der
Offenbarung. Die TŠnzerinnen versuchen seine Botschaft zu dekodieren. Sie
ãspielenÒ mit den Worten mit dem Wunsch, zu verstehen. Aber ihre Versuche enden
in Sprachzerstšrungen. Sie ãerschlagenÒ sich mit Worten.
Johannes
der Offenbarung:
Ich,
Johannes, der auch euer Bruder und Mitgenosse an der TrŸbsal ist und am Reich
und an der Geduld Jesu Christi, war auf der Insel, die da hei§t Patmos, um des
Wortes Gottes willen und des Zeugnisses Jesu Christi. Ich war im Geist an des
Herrn Tag und hšrte hinter mir eine gro§e Stimme wie einer Posaune, die sprach:
Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte; und was du siehest, das
schreibe in ein Buch. Und siehe, eine TŸr war aufgetan im Himmel. Und alsobald
war ich im Geist. Und siehe, ein Stuhl war gesetzt im Himmel, und auf dem Stuhl
sa§ einer; und der dasa§, war gleich anzusehen wie der Stein Jaspis und Sarder;
und ein regenbogen war um den Stuhl, gleich anzusehen wie ein Smaragd. Und um
den Stuhl waren vierundzwanzig StŸhle, und auf den StŸhlen sa§en vierundzwanzig
€lteste, mit wei§en Kleidern angetan. Und vor dem Stuhl war ein glŠsernes Meer
gleich dem Kristall, und mitten am Stuhl und um den Stuhl vier Tiere, voll
Augen vorn und hinten. Und das erste Tier war gleich einem Lšwen, und das
andere Tier war gleich einem Kalbe, und das dritte hatte ein Antlitz wie ein
Mensch, und das vierte Tier war gleich einem fliegenden Adler. Und ich sah und
hšrte eine Stimme vieler Engel um den Stuhl und um die Tiere und um die
€ltesten her; und ihre Zahl war vieltausendmal tausend; und sie sprachen mit
gro§er Stimme: Das Lamm, das erwŸrget ist, ist wŸrdig, zu nehmen Kraft und
Reichtum und Weisheit und StŠrke und Ehre und Preis und Lob. Und alle Kreatur,
die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und im Meer, und alles, was
darinnen ist, hšrte ich sagen: Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm sei
Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!É
ÉUnd
ich sah, und siehe, ein wei§es Pferd. Und der daraufsa§, hatte einen Bogen; und
ihm ward gegeben eine Krone, und er zog aus sieghaft, und da§ er siegte. Und es
ging heraus ein anderes Pferd, das war rot. Und dem, der daraufsa§, ward
gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde und da§ sie sich untereinander
erwŸrgten; und ihm ward ein gro§es Schwert gegeben. Und ich sah, und siehe, ein
schwarzes Pferd. Und der daraufsa§, hatte eine Wage in seiner Hand. Und ich
sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der daraufsa§, des Name hie§ Tod.
Dialog
Im
Angesicht der Ohnmacht, sinnstiftendes Leben ausbilden zu kšnnen, stellt sich
die Frage nach der Existenzberechtigung des alten Todes. Er, der individuelle,
nach dem Sinn und der Rechtfertigung des einzelnen Lebens fragende, ãalteÒ Tod
sieht sich in Konfrontation mit dem ãfeistenÒ Tod der Massenvernichtungsmittel
und der globalen škologischen Katastrophe. Vor diesem Hintergrund werden
Textzitate aus dem Jahnnschen ãTotentanzÒ zum Material einer dialogischen
Auseinandersetzung Ÿber den Schuldzusammenhang der ãidyllischenÒ Vorstellungen
vom sinnvollen Leben und Sterben.
Der
Feiste Tod:
Der
grŸne Tang wiegt sich im Glas des Meerwassers. Er steht bei ungedŸnter See wie
ein Baum mittels der verborgenen Kraft des FlŸssigen. Flie§t es ab wie durch
ein Wunder mit der Gewalt der Gezeiten oder strudelnd angesogen durch ferne
Orte der Tiefe, geht die fahlschleimige Pflanze zu Boden wie Getier, das sich
schlafen legt mit der Erwartung, zu verdauen und einen neuen Tag zu erleben.
Es
ist ein Gleichnis.
Wie
prangendes BlŸhen und elendes Welken. Und es ist eine Spanne zwischen Wachen
und Schlafen wie Traum.É Die letzte Sicherheit des Unzerstšrbaren kennen wir
nicht. Sie ist uns verborgen. Das unwandelbare Herz der Welt, kalt, hart, zŠh,
ohne Bewegung, Édas kein Fall und Aufschlagen zersprengt, dieser Ort, diese
Ewigkeit, das Dichteste, SchwŠrzeste, Schwerste ist uns verborgen.
Meine
Freunde: unsere Sehnsucht ist ausgespannt in der Enge. Unser Schmerz ist ein
Instrument, das nur kurze Zeit tšnt.ÉUm unseren Hals sind die Schlingen der
†bereinkŸnfte, Gesetze und Ordnungen gelegt. Pflichten und Tugenden machen
unser Herz leer.ÉIn unserer Armut werden wir schwierig und entarten zur
Grausamkeit. Vor Not verwŸsten wir den Raum, den wir erreichen kšnnen.ÉWir
wollen uns auf die Erde lagern. Wir wollen Ÿberall gleichzeitig sein. Wir
wollen den Pulsschlag aller Erdteile gleichzeitig verspŸren. Wir wollen keine
Hindernisse kennen. Und alle Hindernisse rei§en wir nieder. Schlagen tot.
Rotten aus. Weil wir fŸrchten, kostbare Zeit zu verlieren. Und den Gesetzen des
Lebendigen nicht trauen. Aber unsere Richtlinien sind dŸrftig und taub wie
zerschlissenens Papier, auf dem die Buchstaben nicht mehr entzifferbar. Wir
sind zusammengepfercht zur Masse MenschÉWir suchen mit letzten hei§en Blicken
die fernen schneeigen Augen Gottes. Aber als unsere Taten bleibt eine Welt, die
den Namen Mensch trŠgt, und die vor Getriebe ohne Trieb zur Unfruchtbarkeit
veršdet.
Meine
Freunde: Ihr habt mich gemŠstet. Ihr habt mich gewaltig gemacht. Ihr habt mich
eingekleidet nach eurem Willen. Meine Faust ist fest und mein Nacken gedunsen.
Ihr habt mich an die Hebel eurer Maschinen gestellt. Ihr habt mich zum Herren
in den unterirdischen GŠngen und in den Bezirken der Luft gemacht. Das Kommando
Ÿber eure KriegsgerŠte liegt bei mir. In den Arsenalen der Sprengstoffe und
Gase befehle ich. Den Giftschrank der Menschheit verwalte ich. Ich bin euer
Tod. Ich bin der zivilisierte Tod. Ich bin, wie ihr mich wollt. In einem nur
irrt ihr: ich bin nicht euer Untertan.
Und
seid ihr schwach und feige im ErgrŸnden, greift nach der regentrŸben Ahnung.
Das Meer, dem mein erster Gedanke galt, ist die Wiege guter Gleichnisse und
Lehrbuch fŸr BedŸrftige, die dem eignen Leib nichts ablesen kšnnen. Es
unterliegt den VerŠnderungen und den ZufŠllen der Stunden wie alle Dinge. Es
wird hineingerissen in AblŠufe, die au§er ihm sind.ÉFragt nicht, ob sie der
Wohltat oder dem Verderben dienen.
Es
ist eine Decke Ÿber den AbgrŸnden, die uns vorenthalten werden, damit noch
Lebendiges bestehe, das sich nicht an der Fron des Menschenwerkes zersetzt.ÉEs
ist die Heimat der Bewegung.ÉZwischen zwei Festlanden ist der Mensch auf den
Schiffen allein.ÉUnd es ist eine Tršstung, Ÿber AbgrŸnden zu sein, die sich
verhŸllten.
Der
Gedanken, die uns an einem bespŸlten Strande kommen, sind viele. Aber der
Akkord aus den Himmeln verrŠt nicht, ob er zur Trauer oder Freude entsandt wurde.É
Tod:
Hersandte
mich Gott, einzupflanzen funkelndes Dunkel in den Garten des Lichts, aber ich
bin an den Rand der Zeit geraten. So harrend, so wartend Ÿberkommt mich
GelŸste, zu klagen, da§ meine Taten nun darben. Denn mich tragen nicht mehr
schwarze Strahlen hinab in jene Tiefen, wo ich umwandelnd wirkte.
Der
Feiste Tod:
Bšse
Zeiten haben euch Menschen umgelegt; aber ihr habt euch getršstet mit Sprechen:
Es werden bessere Zeiten kommen. Es werden wohlfeile Jahre folgen. Denn der
Wandel hšrt nicht auf, durch Vernichtung zu wirken.
Tod:
Rinnend
von Stršmen furchtsamen Bluts bin ich Ÿber die Erde gegangen. Nachfolgte mir
die Schleppe reisiger Eiszeiten, vermalmend mit Quadern das ungeborgene Leben.
Der
Feiste Tod:
Und
die Natur hat neue Ernten getrieben. Und Hamster dazu, die sie verzehrten.
Tod:
Trauben
von Nacht, eisige FrŸchte der Finsternis hingen um meine rissigen Schultern.
Gewitter stŸrzte ich wie entwurzelte riesige GewŠchse mit klatschendem
Laubwerke des gro§en geschŸtteten Regens Ÿber die Erde.
Der
Feiste Tod:
Und
ihr Menschen seid zynisch geworden inzwischen, weil eure erste ehrliche
Handlung unbekšmmlich war.
Tod:
Aus
den Schš§en der Brunnen, den MŸndern aller Quellen, allen flutenden Wunden der
Erde bin ich hervorgebrochenÉ.
Der
Feiste Tod:
Und
gegenseitig habt ihr Menschen euch KnŸppel zwischen die Beine geworfen, so da§
ihr gegen alle Verabredung und jede GewŠhr ganz untragisch hingefallen seid.
Tod:
An
den geborstenen Ufern blieb wie Gesang das Weinen.
Der
Feiste Tod:
Denn
ihr Menschen vermochtet nicht einmal, den Zahn aus dem Munde eures Vormunds
auszubrechen.É
Tod:
In
alle AbgrŸnde war mein Erbarmen gebettet, waren wie Rettung meine funkelnden
Sicheln aufgestellt; aufzufangen die Flucht der Gejagten, den Lauf der
Gepeinigten, den Sturz der Gehetzten. Mit gro§en Kšrben war ich bereit,
einzuernten in die Kelter Gottes alles was fiel.ÉUnd impfte die Lust mit dem
Keim der Zeit.
Der
Feiste Tod:
Nun
ist viel Wurzelwerk unter euch Menschen gewachsen; denn die Frischlinge, die
ihr oben treibt, gehen immer wieder vor das Messer. Darum habt ihr die Pfeifen
ausgeklopft und meint: Ernster kann es nicht werden mit uns.É
Tod:
Nach
vielen Gezeiten verlor sich allmŠhlich mein Wesen. Gedanken, wie Anker geworfen
in die Weite des Raums, fanden Untiefen nicht mehrÉ.Ich verrann. Ich versandete
in mir selbstÉEin schleichendes bleiches Gebrechen, geht das Sterben nun um und
spŸlt die Zeiten abÉEs wird unter Gottes gleichmŸtigem Antlitz das Leben
eingestrichren wie ein unwillig gewŠhrtes Darlehn. Plštzlich. Maschinell.
Ungemahnt. Sachlich.
Der
Feiste Tod:
Und
ihr kleineren Menschen durchsucht den Kehrricht nach dem Kot eurer grš§eren
VŠter Éund nervšs haltet ihr eure Gesichter und HŠnde unter die Filter, durch
die vormals Segen auf euch tropfte. Aber sie sind nunmehr verstopft vom Gestank
der StŠdte. Wahrlich die Natur hat weit ausgeholt, als sie euch schuf; aber sie
hat sich nicht einmal Ÿber den Bart gespuckt.
Tod:
Meinen
alternden ZŠhnen mundet nicht mehr das faule Brot der Welt.
Der
Feiste Tod:
Deinen
alternden ZŠhnen mundet es nicht mehr. Aber schon sind Flammenkrallen angesetzt
an das verwesende Fleisch dieser Welt.
Tod:
In
meine Augenhšhlen ist Asche eingeweht. Mein Blick ist verwelkt.
Der
Feiste Tod:
Dein
Blick ist verwelkt. Aber schon sind eisige Augen gešffnet, diese Welt zu
durchschauen.
Tod:
Wie
ein Bettler vor angelehnter TŸr teile ich mit mageren Hunden Knochengaben.
Schlaf zehrt wie Meltau an mir.
Der
Feiste Tod:
Wie
ein Bettler verlŠ§t du dein zerfallenes Reich. Aber schon reiten heran
ungeheure Vernichtungen.
Tod:
Ein
toter Tod bin ich. Ich ruhe an der Flut jenseits der schimmernden Inseln
jenseits der schwimmenden Sterne.
Der
Feiste Tod:
Ein
toter Tod bist du. Aber ein neuer, bleich, feist und kreischend ist unterwegs,
dein Erbe anzutreten und deine Saaten zu ernten. Auf freiem Marktplatz, in
Kontoren, Parlamenten hŠlt er seine Reden wie ein Philosoph und Kaufmann.
Tod:
Horch,
der alte Wind streicht noch um diese schwangere Erde. Er ist noch nicht dahin.
Wie kann denn ich vorbei sein?
Existenzberechtigung
des ãaltenÒ Todes
Die
Gestalten des alten GemŠldefrieses
†ber
Kleider erhalten Menschen Rollen. Fšrderband. Versuche der Identifikation.
Versinnbildlichung verschiedener Lebensausschnitte in verschiedenen TŠnzen.
Versuche individueller Lebensgestaltung. Die TŠnze stehen fŸr den Versuch des
ãaltenÒ Todes, seine Existenzberechtigung in Auseinandersetzung mit ãfeistenÒ
Tod ãzu beweisenÒ. Sie enden in der Vereinzelung und der Vereinsamung der
TŠnzerinnen.
HORATIO
RŸckkehr
der TŠnzerinnen. AnhŠufung von Kultur (unten werden Kleider weggerissen, oben
angehŠuft und geordnet – Sisyphos). Erneute Ermahnungen. UnverstŠndnis,
Schlaf und Tod. Ende der ãBeweisfŸhrungÒ des ãaltenÒ Todes.
Johannes
der Offenbarung:
Und
ich hšrte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe: Selig sind die Toten,
die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, da§ sie ruhen von
ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Chor
:
Sei
getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.
Johannes
der Evangelist:
Also
hat Gott die Welt geliebet, da§ er seinen eingeborenen Sohn gab, auf da§ alle,
die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn
Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, da§ er die Welt richte, sondern
da§ die Welt durch ihn selig werde.
Lukas:
Denn
des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren
ist.
Chor:
Selig.
Johannes
der Offenbarung: Selig.
Johannes
der Evangelist: Selig.
Knaben
(Choral-Cantus):
Denn
wer dich liebt, den liebest du, schaffst seinem Herzen Fried und Ruh, erfreuest
sein Gewissen; es geh ihm wie es woll auf Erd, wenn ihn gleich ganz das Kreuz
verzehrt, soll er doch dein genie§en. Ewig selig nach dem Leide gro§e Freude
wird er finden; alles Trauern mu§ verschwinden.
Chor
(Choral-Cantus, Sopran):
Mitten
wir im Leben sind von dem Tod umfangen. Wen suchn wir, der Hilfe tu, da§ wir
Gnad erlangen? Das bist du, Herr, alleine. Uns reuet unsre Missetat, die dich,
Herr, erzŸrnet hat. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger
barmherziger Heiland, du ewiger Gott, la§ uns nicht versinken in des bittern
Todes Not. Kyrieleison.
MatthŠus:
Selig
sind, die da hungert und dŸrstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt
werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Lukas:
Selig
seid ihr, die ihr hier hungert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die
ihr hier weinet; denn ihr werdet lachen.
Markus:
Wer
sein Leben will behalten, der wirdÕs verlieren; und wer sein Leben verlieret um
meinet- und des Evangeliums willen, der wirdÕs behalten. Viele aber werden die
Letzten sein, die die Ersten sind, und die Ersten sein, die Letzten sind.
Welcher unter euch will der Vornehmste werden, der soll aller Knecht sein. Denn
auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, da§ er sich dienen lasse, sondern
da§ er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung fŸr viele.
MatthŠus:
Er
wird sein Volk selig machen von ihren SŸnden.
Lukas:
Selig!
Chor:
Selig!
Alle:
Selig!É
Johannes
der Offenbarung:
Und
ich sah und hšrte einen Engel fliegen mitten durch den Himmel und sagen mit
gro§er Stimme: Weh, weh, weh denen, die auf Erden wohnen!
Chor: Weh!
Johannes
der Offenbarung:
Und
ein gro§er Hagel, wie ein Zentner, fiel vom Himmel auf die Menschen.
Und
es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde.
Und
es fuhr wie ein gro§er Berg mit Feuer brennend ins Meer.
Und
es ging auf ein Rauch, wie ein Rauch eines gro§en Ofens, und es ward
verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch. Und aus dem Rauch kamen
Heuschrecken auf die Erde.
Und
die Heuschrecken sind gleich den Rossen, die zum Kriege bereitet sind; und
hatten Panzer wie eiserne Panzer, und dAs Rasseln ihrer FlŸgel wie das Rasseln
an den Wagen vieler Rosse; und hatten SchwŠnze gleich den Skorpionen; und ihre
Macht war, zu beschŠdigen die Menschen. Und also sah ich die Rosse im Gesicht
und die daraufsa§en, da§ sie hatten feurige und blŠuliche und schweflige
Panzer; und die HŠupter der Rosse waren wie die HŠupter der Lšwen, und aus
ihrem Munde ging Feuer und Rauch und Schwefel.
Weh
denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! denn der Teufel kommt zu euch
hinab und hat einen gro§en Zorn und wei§, da§ er wenig Zeit hat.
Chor:
Weh
Johannes
der Offenbarung:
Und
die Kaufleute auf Erden werden weinen und Leid tragen. Und alle Schiffsherren
und der Haufe derer, die auf den Schiffen hantieren, und Schiffsleute, die auf
dem Meer hantieren, standen von ferne und schriien, da sie den Rauch von ihrem
Brande sahen, und sprachen: Weh, weh, die gro§e Stadt, in welcher reich
geworden sind alle, die da Schiffe im Meer hatten, von ihrer Ware! denn in
einer Stunde ist sie verwŸstet.
Chor:
Weh!
Johannes
der Offenbarung:
Und
die Stimme der SŠnger und Saitenspieler, Pfeifer und Posauner soll nicht mehr
in dir gehšrt werden, und kein Handwerksmann irgend eines Handwerks soll mehr
in dir gefunden werden, und die Stimme der MŸhle soll nicht mehr in dir gehšrt
werden, und das Licht der Leuchte soll nicht mehr in dir leuchten, und die
Stimme des BrŠutigams und der Braut soll nicht mehr in dir gehšrt werden! Denn
deine Kaufleute waren FŸrsten auf Erden.
Existenzberechtigung
des ãfeistenÒ Todes
Dialog
Das
zweite GesprŠch beider Tode - im Anschlu§ an den fragwŸrdigen Beweis der
Existenzberechtigung des alten Tods - eršffnet die BeweisfŸhrung des feisten
Tods. AnkŸndigung der Katastrophe.
Tod:
Ich
bin geblieben. Ich bin das Gesetz. Ich bin Ebbe und Flut. Jugend und Alter.
Licht und Finsternis. Ich bin die Ursache aller Bewegung und des Lebendigen
Urgrund. Die Mutter der MŸtter, der Vater der VŠter, der Gott des Getiers, den
sie fŸrchten. Die Verwandlung der Steine, FrŸhling und Herbst der BŠume. Ich
bin die Freude des SŠens und Zeugens. Und nur fŸr das Alter ein bittrer
Geschmack.
Preist
ihr den Jungstier mit dicken Hšrnern?
Preist
mich!
Und
eures Ackers fruchtbar feuchten Boden?
Preist
mich!
Und
eure Tage, die in NŠchten, schwer wie Korn, zu Ende gehen?
Preist
mich!
Ich
bin in euren Adern mit den Fluten des Aufstiegs und mit allen Finsternissen der
Niederungen und der Pein.
Ich
bin der Laut in euch, der Sitz der Orte und das Erlebnis.
Preist
mich!
Wenn
ich euch peitsche, immer noch la§ ich die Lust euch, ihr zu sein. Bis ihr mich
anerkennt, hinsinkt. Dann wird es kŸhl. Und still. Und ich beginne erneut, das
MŠnnliche vom Weiblichen zu spalten, da§ Wachstum werde.É
Der
Feiste Tod:
Du
hast geschrien.ÉWas willst du? Der Tod durch alte Seuchen ist ŸberflŸssig. Man
stirbt heute anders. Zwar, man stirbt. Doch aufgeklŠrter, als StŸck der Masse
Mensch. Der eigne Tod, den jeder in sich trŠgt, braucht nicht Gestalt. Es ist
nicht Zeit dafŸr, ihn rund herum zu kenn. Die Wiegenlieder, die er singt,
erfuhr man lŠngst aus alten BilderbŸchern. Maschinen haben eine neue Welt
gebildet, gezeugt, was zu erzeugen war, den alten Ablauf, doch anders
eingekleidet. man ist sehr demokratisch. Man erkennt mich an. man gr٤t mich
hšflich auf den Promenaden. Schlagworte prangen: Fortschritt und Entwicklung.
Fortsetzung einer Weltgeschichte mit dem Ziel nach oben. Was dann beim alten
bleibt, glaubt man mit dummer Weisheit besser zu ertragen.
Tod:
Du
tšnst nicht anders als in wilden Jagden ich. Ist das ein Unterschied: Pest oder
Krebs? Geschliffene Klinge oder die Trommeln eines Walzwerks?
Der
Feiste Tod:
Wir
sind dabei zu streiten. Du bist im Nachteil. Deine Waffen: Geschichte und
Erinnerung. Nicht viel, wenn man sich nicht hineinversenkt mit Inbrunst oder
Zorn. Nur weiche und gepflegte Herzen kšnnen an deinem Zirpen zu Bruch gehen.
Ich stehe im jetzt, und was ich tue, schmerzt.
Tod:
Der
Vorteil ist schon morgen ausgelaugt. Auch stimmt es nicht, dies Einst und
jetzt. Ein Sturm wie aus dem Nordpolloch des Himmels hat mich fŸr diese Nacht
geweckt -
Der
Feiste Tod:
Damit
ich zeige, was ich kann.
Tod:
Es
wird nichts andres sein, als was ich kann und konnte.
Der
Feiste Tod (brŸllt):
Stra§e
frei!
Tod:
Verjagen
willst du mich?
Der
Feiste Tod:
Ich
kommandiere.
Tod:
Wem
gilt das?
Der
Feiste Tod:
Stra§e
frei, Stra§e frei!
DIE
ZERST…RUNG DER STADT
Das
Glockenspiel von St. Marien
Die
ZerstšrungstŠtigkeit beginnt als Apathie der Menschen. Ignorant gegenŸber den
eigenen Zerstšrungspotentialen, erleben sie den Ausbruch der
Zerstšrungsmaschinen als eigene Ohnmacht - und als Versuch, sich und das eigene
Leben zu retten. Doch dieser Rettungsversuch der Individuen ist voller
AggressivitŠt und endet in einem sozialdarwinistischen Kampf ums Dasein, bei
dem nicht nur der Kleiderberg sondern auch das eigene Leben, jegliches Leben,
zerstšrt werden mu§. In der Eskalation der Zerstšrung, die letztendlich nur
noch global gedacht werden kann, liegt der Beweis der Existenzberechtigung des
feisten Tods.
Trauermusik
Stillstand
Chor:
Nun lasset uns den Leib begrabn und daran keinen Zweifel habn, er wird am
jŸngsten Tag aufstehn und unverweslich hervorgehn.É
Knaben
(Choral-Cantus): Mein Zeit ist mnun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben
ist mein Gewinn; kein Bleiben ist auf Erden; das Ewge mu§ mir werden, mit Fried
und Freud ich fahr dahin.
HORTATIO
Beginn
neuen ãLebensÒ, the day after - wie immer er aussehen kšnnteÉ
Johannes
der Offenbarung:
Und
ich sah die Toten, beide, gro§ und klein, stehen vor Gott, und BŸcher wurden
aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens.
Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den BŸchern, nach ihren
Werken.
Und
ich bin Johannes, der solches gesehen und gehšrt hat. Und da ichÕs gehšrt und
gesehen, fiel ich nieder, anzubeten zu den F٤en des Engels, der mir solches
zeigte.
Und
er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch;
denn die Zeit ist nahe!
Wer
bšse ist, der sei fernerhin bšse, und wer unrein ist, der sei fernerhin unrein;
aber wer fromm ist, der sei fernerhin fromm, und wer heilig ist, der sei
fernerhin heilig.
Siehe,
ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke
sein werden. Selig ist, der da liest und die da hšren die Worte der Weissagung
und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.
MatthŠus:
Selig
sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die
Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder hei§en. Selig sind, die um
Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.
Lukas:
Selig
seid ihr, so euch die Menschen hassen und euch absondern und schelten euch und
verwerfen euren Namen als einen bšsen um des Menschensohnes willen. Weh euch,
wenn euch jedermann wohlredet!
Markus:
Und
er lehrte sie und sprach zu ihnen: Sehet euch vor! Vor FŸrsten und Kšnige mŸ§t
ihr gefŸhrt werden um meinetwillen. Und ihr werdet gehasset sein von jedermann
um meines Namens willen.
MatthŠus:
Wer
aber beharret bis ans Ende, der wird selig.
Markus:
Wer
aber beharret bis an das Ende Ende, der wird selig.
Lukas:
Selig
sind, die das Wort Gottes hšren und bewahren.É
AUSZUG
(verfremdet)
ãVerzweifelteÒ RŸckkehr zum Ausgangspunkt der ãVernunftÒ. Zitate, Reste der
Renaissance. Eine Erinnerung an die TŠnze des Anfangs. Dieses ãWiederauflebenÒ
von Kultur funktioniert fŸr den Betrachter wie der Vorschein neuer
Katastrophen. In dem zwanghaften und verzweifelten Versuch der rŸckkehr zu den
alten Ritualen schlie§t sich die Krebsfigur - und der ãvirus apokalyptikusÒ
bleibt unserem menschlichen Miteinander inhŠrent. Die Frage nach dem Moment der
Versšhnung bleibt unbeantwortet.
Die
arme Seele des guten Menschen
(letzter
gemeinsamer Satz der TŠnzerinnen)
Und
sie beschlossen, sich weiter zu verŠndern. Sie griffen tiefer in sich ein als
zuvor.
Dialog
ResumŽe
der beiden Tode; kurzer, fragwŸrdiger Ausblick
Tod:
Was
folgt aus diesem Schauspiel?
Der
Feiste Tod:
Du
mi§verstehst. Bemerkenswert an diesem kleinen Ausschnitt gegenwŠrtigen
Geschehens ist die Ordnung.ÉDas Schicksal hat nicht mehr den Namen eines
Menschen, es hei§t System.
Tod:
Die
KlŠger, Richter, Henker, Priester verschuldeten den Feuertod der HŠretiker und
Hexen nicht; - vielmehr die unheilvolle Kraft, die System genannt hat.ÉIch sehe
den Unterschied zum Heute nicht.
Der
Feiste Tod:
Die
Mšglichkeiten sind gewachsen.ÉEs rollt ein Stein, der zur Lawine wŠchst. Im
Augenblick schon donnert es um diese Erde. man hat sehr viel gebraut, das,
flie§t es aus, die reichste Ernte gibt, die je in kurzer Zeit den Todessensen
fiel. Ich sage Worte. Ihr Gewicht wird erst in Zukunft ganz zu fassen sein. An
Leichenhaufen, wo die StŸckzahl mensch nach zehnmillionen abgerechnet wird.
Danach, wenn Zeiten wieder wuchsen, sich abgelagert das Verwesliche, in TrŸmmer
Siedlungen und StŠdte fielen, wird wieder Landschaft sein. Gras, BŠume, lustige
GewŠsser.
Tod:
Du
sprichst von was?
Der
feiste Tod:
Von
einer Zukunft.
ORGELTOCCATA
Stille,
Dunkel
ErgŠnzende
Texte aus dem Programmheft1:
ãMan
braucht endlos Zeit, um mit Denken anzufangen, eine endlose Energie, um die
kleinste Entscheidung zu fŠllen. Die Dichte der Welt nimmt zu. Die Vielfalt der
nutzlosen Unternehmungen ist bestŸrzend. Man mu§ zu viel hineintun, um eine
ungewisse Balance zu halten. Man kann nicht mehr verschwinden. Man stirbt in
totaler Unentschlossenheit.Ò
Jean
Baudrillard
ãDas
Individuum ist deswegen nicht weniger
entfremdet, weil man alles Ÿber es wei§, sondern in Not, weil man von
uns verlangt, alles Ÿber uns selbst zu wissen: Prinzip einer neuen und
endgŸltigen Verknechtung.Ò
Jean
Baudrillard
ãDie
Leute, die das Unbestimmte verlassen, um zu versuchen, irgend etwas von dem,
was in ihrem Geist vorgeht, zu prŠzisieren, sind Schweine.Ò
Antonin
Artaud
ãUnsere
Scheu§lichkeit verhŠlt sich umgekehrt zu der frŸherer Jahrhunderte. Sie tilgt
Blut und Grausamkeit durch ObjektivitŠt.Ò
Jean
Baudrillard
ãDas
ist die so unwahrscheinlich gefŠhrliche und heimlich ihr Unwesen entfaltende
Gewalt: sie hat dem Schrecken, dem Tod, dem schicksalhaft zuschlagenden Zufall
die GewalttŠtigkiet genommen. Das Erschreckende dieser Kultur ist, da§ sie kein
Erschrecken mehr zulŠ§t. Das ist Raffinesse, das ist teuflisch.Ò
Karl
Kollmann
ãNicht
mehr sind es Mšrder und Wegelagerer, die die Welt gefŠhrden, die anstŠndigen
Leute mit Ehrbegriffen bringen das Kaos des Untergangs.Ò
Hans
Henny Jahnn
ãNein
– die wissenden Klugscheisser, die Auf + AbgeklŠrten, werden mir den
Knochenkerl nicht nur aus den Bildern rausbringen, nicht aus diesem
Kaleidoskop, das mir im Kopf klštert. Wie immer ich's auch schŸttel + rŸttel,
ER ist mit im Bilde.Ò
Horst
Janssen
ãDas
Altern hat mit biologischem FŠlligwerden nichts zu tun. Es ist die immer lŠnger
werdende Spirale der Trennung von der physischen und intellektuellen
Disponiertheit der Jugend. Eines Tages wird die Spirale so lang sein, da§ es
keine Aussicht auf RŸckkehr mehr gibt. Die Parabel wird exzentrisch und der
Hšhepunkt des Lebens verliert sich im Raum. Gleichzeitig kommt das Echo der
VergnŸgen in der Zeit immer schneller zurŸck. Die Lust an der Lust vergeht. Man
erlebt die Dinge nostalgisch, als Echo eines frŸheren Lebens.Ò
Jean
Baudrillard
ãZweifellos
hatte ich gelernt, mich dem Tod zu nŠhern, und daher erschienen mir alle Dinge,
sogar die grausamsten, nur noch unter dem Aspekt ihres Gleichgewichts, bei
všlliger Unwichtigkeit ihres Sinns.Ò
Antonin
Artaud
ãAll
diese armen Alten, diese Meerschweinchen des Pensionsalters, die hofften, von
Sex und Arbeit endlich erlšst, sich in einer Art GleichgŸltigkeit gegenŸber dem
Leben und in vorweggenommenem Genu§ des Todes, was sicherlich die beste Art zu
altern ist, ausruhen zu kšnnen – es ist nicht gesagt,
da§
man ihnen am Ende des Weges einen Strand
28.||||.1992,
17.04 Uhr
Madrid.
Francis Bacon ist tot.
lassen
wird, nein, man mu§ sie bis zum Ende verfolgen, sie recyclen, sie
libidinisieren (begehrt! genie§t! es ist nie zu spŠt) und kulturisieren
(Theater, Kino, freie Diskussionen, Yoga, Musik des 16.Jahrhunderts) –
ihnen wird nichts erspart, damit sie auch sicher als Idioten sterben.Ò
Jean
Baudrillard
ãDie
Arbeit ist ein langsamer Tod. Man versteht das im allgemeinen im Sinn einer
kšrperlichen Erschšpfung. Es ist aber anders aufzufassen: die Arbeit ist nicht
als eine Art tod dem 'erfŸllten Leben' entgegengesetzt, wie es die
idealistische Sichtweise will, sondern sie stellt sich als langsamer Tod dem
gewaltsamen Tod entgegen. Das ist die symbolische Wirklichkeit. Die Arbeit
widersetzt sich als aufgeschobener Tod dem unmittelbaren Opfertod.Ò
Jean
Baudrillard
ãDer
Mann auf der Stra§e, auf die mšgliche Apocalypse aufmerksam gemacht, hat
zumeist eine verblŸffende Antwort bereit: Dann ist es eben vorbei. Man kšnne
sowieso an der Entwicklung nichts Šndern. – Ist es so weit, da§ der
Mensch keine eigentliche Lust am Dasein mehr kennt? Lebt er, ohne das Leben mit
†berzeugung zu wollen? Oder ist es nur der kollektive Tod, der ihn nicht
erschŸttert? Wird seine EmpfindungsqualitŠt so klein, weil die vorgestellte
Zahl so gro§ ist? – Wahrscheinlich reagiert er als Unzufriedener, der der
mechanisierten Umwelt nicht mehr entrinnen kann. Die Fabrik, sein Arbeitsplatz
bestimmen das fŸr ihn gŸltige Gesetz gemeinsam mit den Forderungen des Staates,
der ihn von der Geburt bis zum Tode nicht in seiner WŸrde, sondern in seiner
Brauchbarkeit erfa§t.Ò
Hans
Henny Jahnn
ãNein,
ein solches GrossaufrŠumen,
solch'
blindwŸtiger FrŸhjahrsputz, auf den wir spekulieren und den wir mit den Wšrtern
>Pest<, >Aids<, >Hunger< und >Krieg< und in summa
als
>Apokalypse< belegen – das ist die langweiligste, dŸmmste,
unerheblichste, wenngleich wohl sporadisch notwendige Variante im GeschŠft des
Wetzels – im Wetzelverstande tabula rasa aus Resignation.Ò
Horst
Janssen
ãEs
ist eben der von den Medien produzierte Ersatz der Ereignisse, der Gedanken,
der Geschichte. Er bringt es fertig, da§ diese Ereignisse zu existieren
aufhšren, ja sogar aufhšren, existiert zu haben, und zwar in dem Ma§e, in dem
sie untersucht und in Details zerlegt unter die Lupe genommen werden, um den
Ursachen auf die Spur zu kommenÉÒ
Jean
Baudrillard
ãDie
Geschichte hat keinerlei Sinn: wir haben also Grund zur Freude. Sollten wir
vielleicht Qualen ausstehen um eines gŸnstigen Ausgangs des Geschehens willen,
um eines letzten Festes willen, dessen Kosten von unserem Schwei§ und unserem
Scheitern bestritten wŸrden? KŸnftigen Idioten zuliebe, die Ÿber unsere Qual
frohlocken und auf unserer Asche umherhŸpfen? Die Vision eines paradiesischen
Endzustandes Ÿbertrifft in ihrer AbsurditŠt die schlimmsten Verirrungen der Hoffnung.
Alles, was man zur Entschuldigung der Zeit vorbringen kšnnte, wŠre, da§ man in
ihr Augenblicke findet, die eintrŠglicher sind als andere, folgenlose
ZufŠlligkeiten inmitten der unertrŠglichen Monotonie unserer Ratlosigkeit.Ò
E.M.
Cioran
ãMan
darf die menschliche Geschichte nicht betrachten, wenn man sich eine Spur von
Hoffnung bewahren will, da§ wir auch weiterhin davonkommen.Ò
Hans
Henny Jahnn
ãSollten
wir je Opfer privater Aggression werden, sei es von poltischen Aktivisten oder
von dummen SchlŠgern mit einem Revolver in der Hand, mŸssen wir uns damit
tršsten, da§ wir damit teilhaben am menschlichen Wesen. Das ist nicht gerade
ein tršstlicher Schlu§, aber mehr habe ich nicht anzubieten.Ò
Anthony
Burges
ãDa§
alles zum Verschwinden verurteit ist, lšst in uns ein unertrŠgliches GefŸhl
aus. Dieses GefŸhl ist um so stŠrker, wenn es der Tod ist, der verschwindet.Ò
Jean
Baudrillard
ãIst
die Atomexplosion in unserer Vorstellung nicht ein totales Ereignis, ohne
Morgen, wŠhrend sie doch einfach nur zur škologischen Regression der
menschlichen Gattung fŸhrt? Das ist uns ja alles lŠngst bekannt, wir sind doch
gerade daraus hervorgegangen. Wir trŠumen von etwas, das nicht auf der
menschlichen Skala liegt: wie kšnnte die Erde aussehen, wenn wir nicht mehr da
sind? Wir trŠumen, die Welt in ihrer vom Menschen befreiten Reinheit zu
erblicken (was keineswegs der Naturzustand wŠre), im Zustand formaler
Grausamkeit. Mit einem Wort: wir trŠumen von unserem Verschwinden.Ò
Jean
Baudrillard
ãWie
schšn wŠre es,
die
Sonne von der Seite zu sehen!Ò
Jean
Baudrillard
1 Zitate in Reihenfolge: Jean Baudrillard, Cool Memories 1980
– 1985, MŸnchen 1989, S.122, 107, 22, 172, 114; Baudrillard: Der
symbolische Tausch und der Tod, MŸnchen 1982, S.69/70; Baudrillard: Zu spŠt,
Zeit 5.2.1988; Baudrillard: Cool Memories (s.o.) S.233, S.149. S.222; au§erdem
Antonin Artaud: FrŸhe Schriften,
MŸnchen 1983, S.91 aus 'Die Nervenwaage', S.125 aus 'Brief an die
Hellseherin', s. auch dort 'Die Kunst und der Tod'; Karl Kollmann: Die Sanfte
Gewalt, in Gesichter der gewalt, Konkursbuch, TŸbingen 1978, S.163; Hans Henny
Jahnn zit. aus: Das Hans Henny Jahnn Lesebuch, Hamburg 1984, S.15, 78, 104;
Horst Janssen: Hommage ˆ Tannewetzel, Neujahrsrede in St. Marien zu LŸbeck,
Hamburg, LŸbeck 1987, S.32, 19; E.M. Cioran: Lehre vom Zerfall, Stuttgart 1987,
S.181.