Material zum Film „Der Tanz mit dem Tod“ von Eckhard Blach
Daten - Gedanken zum Totentanz von Dr. Walter Hollender und Klaus Meyers - Aufführungstext - und ergänzende Texte
Lübecker Totentanz von Walter Kraft –
Auseinandersetzung mit einem Thema
Bearbeitung und Inszenierung: Dr. Walter Hollender
Choreographie: Juliane Rößler
Ausstattung: Harald Stieger
Musikalische Leitung: Kaus Meyers
Tänzerinnen: Tanz Companie Lübeck, Shiao Ing Oei, Birgit Schmidt, Marietta Hügelmann, Alicia Adamska, Julia Linde
Der alte Tod: Roland Nietzhold
Der feiste Tod: Harald Maack
Johannes der Offenbarung: Henner Leyhe
Solisten
Sopran: Annette Brunsing
Alt: Monika Degenhardt
Tenor: Achim Kleinlein
Baß: Jost Salm
Chöre: Lübecker Bach – Chor, Jugendchor St. Aegidien Lübeck
Orchester: Kammerorchester pro musica
Orgeleinspielung: Ernst–Erich Stender
Regie- und Bühnenbildassistenz: Tinus Alsdorf
Beleuchtung: Jutta Hartmann, Wolfgang Riebesehl
Technische Einrichtung: Christa Ernst, Klaus Meisel
Kostümherstellung: Britta Wenzkus
Ton: Konni Lesser
Begleitmappe
Redaktion: Eckhard Blach
Konzept und Layout: SChLiPPe
Aufführungsrechte: Eva-Maria Kraft
Spieldauer: Zwei Stunden ohne Pause
Premiere: St. Petri Lübeck, 8. Mai 1992
Diese Inszenierung kam durch die Zusammenarbeit des Kuratoriums St. Petri und des Amtes für Kultur der Hansestadt Lübeck zustande, im Gedenken an den Bombenangriff auf Lübeck, Palmarum 1942.
Darüber hinaus gilt unser Dank den Bühnen der Hansestadt Lübeck.
Wir danken Herrn Jürgen Schwarz, Stephan-Joachim Schmidt, Familie Fiedler, Herrn Klempau und vielen hier nicht namentlich genannten Helfern.
Wir danken dem Theater Combinale, der Tanz Werkstatt Lübeck, der Stadtbibliothek, den Vorwerker Heimen und al- len anderen Institutionen, die dieses Projekt möglich machten.
Unser besonderer Dank gilt Frau Eva-Maria Kraft für die Überlassung des Notenmaterials und der Aufführungsrechte.
Die in den Totentanz von Walter Kraft eingebauten Zitate entstammen wörtlich oder in gedanklicher Anlehnung dem Neuen Lübecker Totentanz von Hans Henny Jahnn.
Gedanken zum Totentanz
„Die Menschheit tritt, unbestreitbar,
mit Vorbelastungen in dies Zeitalter,
mit abwegigen Vorurteilen, alten Grausamkeiten,
mit gespenstischen Unnatürlichkeiten und
mit unausgelöschter Dummheit.“
Hans Henny Jahnn
Totentänze markieren die Wende zum 15. Jahrhundert. Ausgehend von den ab der Mitte des 14. Jahrhunderts alle 20 Jahre aufflammenden Pestepidemien, erscheint der Tod den Menschen nicht mehr als natürliches Ende des Lebens, sondern als Angreifer, als Jäger.
Die Konfrontation mit dem Tod wird zum Anlaß, das eigene Leben zu überdenken. Der personifizierte Tod stellt Fragen, die beantwortet werden müssen. Und er kommt plötzlich, sodaß es keine vorbereiteten Antworten gibt.
Vor diesem Hintergrund lautet die Botschaft aller Totentänze: Lebt so, daß ihr jederzeit sterben könnt und die Seligkeit erlangt.
Doch seit den Pestzeiten des Mittelalters haben wir uns entwickelt. Und unsere Auseinandersetzung mit dem Tod hat sich verändert. Die vier apokalyptischen Reiter, die Krieg, Unfrieden, Hunger und Tod bringen, verfügen nicht nur über ein unendliches Zerstörungspotential von biologischen, chemischen und atomaren Waffen, sondern wir haben – obwohl immer noch Teil der Natur – endlich die Möglichkeit vor Augen, mit dieser Natur auch jede Form von menschlichem Leben endgültig zu zerstören.
Unsere Endzeitvorstellung ist allumfassend, und vor diesem Hintergrund mutet uns die Sinnfrage des individuellen Tods fast wie eine idyllische Vorstellung an.
Unsere Auseinandersetzung mit dem Lübecker Totentanz von Walter Kraft ist daher mehr als eine Auseinandersetzung mit der Erinnerung an die Zerstörung einer Stadt oder an die Zerstörungsorgie des zweiten Weltkriegs.
Sie ist der Versuch einer Auseinandersetzung mit den ungeheuren Selbstzerstörungskräften, mit denen wir den Sensemann des Mittelalters und seine individuelle Sinnfrage fast überwunden und ad absurdum geführt haben.
Dr. Walter Hollender(zum Anfang)
„Vor einigen Jahren besuchte ich Eva-Maria Kraft in der Abgeschiedenheit ihres Landhauses bei Groß Grönau. Ich war auf der Suche nach szenischen Werken für die Kirche.
Immer wieder hatte ich vom „Lübecker Totentanz“ ihres 1977 verstorbenen Mannes gehört. Sie lieh mir bereitwillig die Kopie der handschriftlichen Partitur.
Zu Hause schaute ich oft hinein und legte sie dann kopfschüttelnd wieder weg. Fremd war mir die musikalische und geistige Welt dieser Komposition:
Keine richtige Oper, aber auch kein Oratorium. Anklänge an mittelalterliches Mysterienspiel, doch bar jeglicher Dialoge. Übereinanderschichtung von Textebenen, oft bis zu fünf oder sechs verschiedenen. Liturgische Elemente und doch keine Gottesdienstmusik. Tänze, aber weder Ballett noch Tanztheater.
Und die Musik: so flächig und spröde, überhaupt nicht opulent!
So gelangte die dickleibige Partitur bald wieder nach Groß Grönau. Mir fehlte die Antenne zu dieser Musik.
Doch zwei Dinge haben mich nicht losgelassen. Zunächst:
Die Figur des „Johannes der Offenbarung“, dieses ekstatischen Visionärs mit seinen aufrüttelnden Bildern! Wem erzählt er das alles? Wie reagieren die Menschen auf seine faszinierende Gesichte?
„Singt aus einem Folianten vor der Gemeinde“, so die Regieanweisung des Komponisten. „Im Gegensatz zu den Evangelisten (Soloquartett, Anm. d. Verfassers), die … als Einzelgestalten sich unbewegt verhalten, wird … Johannes … zum ekstatischen Mittler seiner Geschichte.“ Wie wäre es, wenn sich dieser Johannes von seinem Folianten löste und die Mittlerrolle wirklich spielte, wobei sein Gegenüber auf ihn einginge, ihn ablehnte oder sich gar gleichgültig verhielte?
Dann:
Die Musik der spätmittelalterlichen Meister Machault und Dunstable mit ihrem archaischen Gestus, die Kraft höchst originell in seine Musik einbaut und variiert. Solch motettische Musik hat mit Bühne nichts zu tun, sperrt sich geradezu gegen eine Inszenierung. Aber sie ist grandios. Was passiert, wenn man zu ihr auf der Bühne spielt? Das müßte sehr spannend sein.
„Palmarum 1942 – 1992“ gab den Anstoß, erneut über das Werk nachzudenken. Es traf genau das Thema. Ich entschloß mich, den „Totentanz“ zu wagen, mich mit der Musik auseinanderzusetzen, gerade weil sie mir zunächst nicht liegt.“
Klaus Meyers (zum Anfang)
Auffführungstext (zum Anfang)
Der Text zur Aufführung besteht in einer Montage von Walter Hollender aus Regieanweisungen (kursiv), Walter Kraft's „Der Lübecker Totentanz“ (fett) und Hans Henny Jahnn's „Neuer Lübecker Totentanz“(normal).
Die Bühne ist dunkel.
Im Kerzenlicht sieht man eine schwarze, bewegliche Masse, die sich allmählich spaltet. In groben Stufen entwickelt sich menschliches Leben.
ORGELTOCCATA
Mit dem Einsatz der Orgel entwickelt sich der „aufrechte“ Gang, der am Ende der Toccata sinnfällig wird. Der Mensch ist seiner selbst bewußt und bereit, seinen Platz in der Geschichte auszugestalten. er hält „Einzug“ in seine bewußt gestaltete Welt.
EINZUG
Dieser „Einzug“ ist identisch mit der kulturellen Entwicklung. Vor dem Hintergrund der Musik entwickeln die Tänzerinnen Formen und Rituale des gesellschaftlichen Miteinanders, zunächst vorsichtig, tastend, dann immer stärker hierarchisch organisiert, Spiele auf Herrschaft und Unterdrückung, auf Groß und Klein, auf Oben und Unten, wobei sie ihre Rollenidentität gegen Ende immer häufiger/schneller wechseln, vergleichbar den berühmten Mäntelchen, die man sich umhängt. So werden die Einzelnen zunehmend austauschbar, und wir entwickeln „moderne“ Erfahrungsstrukturen. Das Ende dieser Phase ist eine Eskalation der Aggression, in der jeder jeden beherrschen will. Todeserfahrung.
Chor:
Miserere, miserere nobis!
Es ist ein Schnitter
Auftritt des individuellen Todes, Entdeckung des Todes, Angst, Verdrängung, Todessehnsucht.
Chor:
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, hat G’walt vom großen Gott. Heut wetzt er das Messer, es geht schon viel besser, bald wird er dreinschneiden, wir müssens erleiden. Hüt dich, schöns Blümelein!
Der grimmig Tod mit seinem Pfeil tut nach dem Leben zielen, sein’n Bogen schießt er ab mit Eil und läßt mit sich nicht spielen. Das Leben schwind’t wie Rauch und Wind, kein Fleisch mag ihm entrinnen, kein Gut noch Schatz find’t bei ihm Platz, du mußt mit ihm von hinnen.…
Was heut noch grün und frisch dasteht, wird morgen weggemäht: die edlen Narzissen, die himmlischen Schüssel, die schön’n Hyazinthen, die türkischen Winden. Hüt dich, schöns Blümelein!…
Kein Mensch auf Erd uns sagen kann, wann wir von hinnen müssen; wann kommt der Tod und klopfet an, so muß man ihm aufschließen. Er nimmt mit G’walt hin jung und alt, tut sich vor niemand scheuen. Des Königs Stab bricht er bald ab und führt ihn an den Reihen.…
Viel hunderttausend ungezählt, da unter die Sichel fällt, rot Rosen, weiß Lilien, beid wird er austilgen; und ihr Kaiserkronen, man wird euch nicht schonen. Hüt dich, schöns Blümelein!
Der dieses Liedlein hat gemacht, von neuem hat gesungen, der hat gar oft den Tod betracht und letztlich mit ihm gerungen. Liegt jetzt im Hohl, es tut ihm wohl, tief in der Erd verborgen. Sieh auf dein Sach, du mußt hernach, es sei heut oder morgen!
Hortatio
Die Ermahnungen der Evangelisten sind Appelle gegen die Verdrängung des Todes. Sie werden nicht gehört.
Matthäus:
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Lukas:
Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Aber dagegen weh euch Reichen! denn ihr habt euren Trost dahin.
Matthäus:
Selig sind eure Augen, daß sie sehen und eure Ohren, daß sie hören.
Lukas:
Selig ist, der das Brot isset im Reich Gottes.
Markus:
Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.
Johannes:
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!
Chor:
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!
Johannes der Offenbarung
In diese Situation interveniert Johannes als verzweifelter Vermittler der Offenbarung. Die Tänzerinnen versuchen seine Botschaft zu dekodieren. Sie „spielen“ mit den Worten mit dem Wunsch, zu verstehen. Aber ihre Versuche enden in Sprachzerstörungen. Sie „erschlagen“ sich mit Worten.
Johannes der Offenbarung:
Ich, Johannes, der auch euer Bruder und Mitgenosse an der Trübsal ist und am Reich und an der Geduld Jesu Christi, war auf der Insel, die da heißt Patmos, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses Jesu Christi. Ich war im Geist an des Herrn Tag und hörte hinter mir eine große Stimme wie einer Posaune, die sprach: Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte; und was du siehest, das schreibe in ein Buch. Und siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel. Und alsobald war ich im Geist. Und siehe, ein Stuhl war gesetzt im Himmel, und auf dem Stuhl saß einer; und der dasaß, war gleich anzusehen wie der Stein Jaspis und Sarder; und ein regenbogen war um den Stuhl, gleich anzusehen wie ein Smaragd. Und um den Stuhl waren vierundzwanzig Stühle, und auf den Stühlen saßen vierundzwanzig Älteste, mit weißen Kleidern angetan. Und vor dem Stuhl war ein gläsernes Meer gleich dem Kristall, und mitten am Stuhl und um den Stuhl vier Tiere, voll Augen vorn und hinten. Und das erste Tier war gleich einem Löwen, und das andere Tier war gleich einem Kalbe, und das dritte hatte ein Antlitz wie ein Mensch, und das vierte Tier war gleich einem fliegenden Adler. Und ich sah und hörte eine Stimme vieler Engel um den Stuhl und um die Tiere und um die Ältesten her; und ihre Zahl war vieltausendmal tausend; und sie sprachen mit großer Stimme: Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Und alle Kreatur, die im Himmel ist und auf Erden und unter der Erde und im Meer, und alles, was darinnen ist, hörte ich sagen: Dem, der auf dem Stuhl sitzt, und dem Lamm sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!…
…Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der daraufsaß, hatte einen Bogen; und ihm ward gegeben eine Krone, und er zog aus sieghaft, und daß er siegte. Und es ging heraus ein anderes Pferd, das war rot. Und dem, der daraufsaß, ward gegeben, den Frieden zu nehmen von der Erde und daß sie sich untereinander erwürgten; und ihm ward ein großes Schwert gegeben. Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der daraufsaß, hatte eine Wage in seiner Hand. Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der daraufsaß, des Name hieß Tod.
Dialog
Im Angesicht der Ohnmacht, sinnstiftendes Leben ausbilden zu können, stellt sich die Frage nach der Existenzberechtigung des alten Todes. Er, der individuelle, nach dem Sinn und der Rechtfertigung des einzelnen Lebens fragende, „alte“ Tod sieht sich in Konfrontation mit dem „feisten“ Tod der Massenvernichtungsmittel und der globalen ökologischen Katastrophe. Vor diesem Hintergrund werden Textzitate aus dem Jahnnschen „Totentanz“ zum Material einer dialogischen Auseinandersetzung über den Schuldzusammenhang der „idyllischen“ Vorstellungen vom sinnvollen Leben und Sterben.
Der Feiste Tod:
Der grüne Tang wiegt sich im Glas des Meerwassers. Er steht bei ungedünter See wie ein Baum mittels der verborgenen Kraft des Flüssigen. Fließt es ab wie durch ein Wunder mit der Gewalt der Gezeiten oder strudelnd angesogen durch ferne Orte der Tiefe, geht die fahlschleimige Pflanze zu Boden wie Getier, das sich schlafen legt mit der Erwartung, zu verdauen und einen neuen Tag zu erleben.
Es ist ein Gleichnis.
Wie prangendes Blühen und elendes Welken. Und es ist eine Spanne zwischen Wachen und Schlafen wie Traum.… Die letzte Sicherheit des Unzerstörbaren kennen wir nicht. Sie ist uns verborgen. Das unwandelbare Herz der Welt, kalt, hart, zäh, ohne Bewegung, …das kein Fall und Aufschlagen zersprengt, dieser Ort, diese Ewigkeit, das Dichteste, Schwärzeste, Schwerste ist uns verborgen.
Meine Freunde: unsere Sehnsucht ist ausgespannt in der Enge. Unser Schmerz ist ein Instrument, das nur kurze Zeit tönt.…Um unseren Hals sind die Schlingen der Übereinkünfte, Gesetze und Ordnungen gelegt. Pflichten und Tugenden machen unser Herz leer.…In unserer Armut werden wir schwierig und entarten zur Grausamkeit. Vor Not verwüsten wir den Raum, den wir erreichen können.…Wir wollen uns auf die Erde lagern. Wir wollen überall gleichzeitig sein. Wir wollen den Pulsschlag aller Erdteile gleichzeitig verspüren. Wir wollen keine Hindernisse kennen. Und alle Hindernisse reißen wir nieder. Schlagen tot. Rotten aus. Weil wir fürchten, kostbare Zeit zu verlieren. Und den Gesetzen des Lebendigen nicht trauen. Aber unsere Richtlinien sind dürftig und taub wie zerschlissenens Papier, auf dem die Buchstaben nicht mehr entzifferbar. Wir sind zusammengepfercht zur Masse Mensch…Wir suchen mit letzten heißen Blicken die fernen schneeigen Augen Gottes. Aber als unsere Taten bleibt eine Welt, die den Namen Mensch trägt, und die vor Getriebe ohne Trieb zur Unfruchtbarkeit verödet.
Meine Freunde: Ihr habt mich gemästet. Ihr habt mich gewaltig gemacht. Ihr habt mich eingekleidet nach eurem Willen. Meine Faust ist fest und mein Nacken gedunsen. Ihr habt mich an die Hebel eurer Maschinen gestellt. Ihr habt mich zum Herren in den unterirdischen Gängen und in den Bezirken der Luft gemacht. Das Kommando über eure Kriegsgeräte liegt bei mir. In den Arsenalen der Sprengstoffe und Gase befehle ich. Den Giftschrank der Menschheit verwalte ich. Ich bin euer Tod. Ich bin der zivilisierte Tod. Ich bin, wie ihr mich wollt. In einem nur irrt ihr: ich bin nicht euer Untertan.
Und seid ihr schwach und feige im Ergründen, greift nach der regentrüben Ahnung. Das Meer, dem mein erster Gedanke galt, ist die Wiege guter Gleichnisse und Lehrbuch für Bedürftige, die dem eignen Leib nichts ablesen können. Es unterliegt den Veränderungen und den Zufällen der Stunden wie alle Dinge. Es wird hineingerissen in Abläufe, die außer ihm sind.…Fragt nicht, ob sie der Wohltat oder dem Verderben dienen.
Es ist eine Decke über den Abgründen, die uns vorenthalten werden, damit noch Lebendiges bestehe, das sich nicht an der Fron des Menschenwerkes zersetzt.…Es ist die Heimat der Bewegung.…Zwischen zwei Festlanden ist der Mensch auf den Schiffen allein.…Und es ist eine Tröstung, über Abgründen zu sein, die sich verhüllten.
Der Gedanken, die uns an einem bespülten Strande kommen, sind viele. Aber der Akkord aus den Himmeln verrät nicht, ob er zur Trauer oder Freude entsandt wurde.…
Tod:
Hersandte mich Gott, einzupflanzen funkelndes Dunkel in den Garten des Lichts, aber ich bin an den Rand der Zeit geraten. So harrend, so wartend überkommt mich Gelüste, zu klagen, daß meine Taten nun darben. Denn mich tragen nicht mehr schwarze Strahlen hinab in jene Tiefen, wo ich umwandelnd wirkte.
Der Feiste Tod:
Böse Zeiten haben euch Menschen umgelegt; aber ihr habt euch getröstet mit Sprechen: Es werden bessere Zeiten kommen. Es werden wohlfeile Jahre folgen. Denn der Wandel hört nicht auf, durch Vernichtung zu wirken.
Tod:
Rinnend von Strömen furchtsamen Bluts bin ich über die Erde gegangen. Nachfolgte mir die Schleppe reisiger Eiszeiten, vermalmend mit Quadern das ungeborgene Leben.
Der Feiste Tod:
Und die Natur hat neue Ernten getrieben. Und Hamster dazu, die sie verzehrten.
Tod:
Trauben von Nacht, eisige Früchte der Finsternis hingen um meine rissigen Schultern. Gewitter stürzte ich wie entwurzelte riesige Gewächse mit klatschendem Laubwerke des großen geschütteten Regens über die Erde.
Der Feiste Tod:
Und ihr Menschen seid zynisch geworden inzwischen, weil eure erste ehrliche Handlung unbekömmlich war.
Tod:
Aus den Schößen der Brunnen, den Mündern aller Quellen, allen flutenden Wunden der Erde bin ich hervorgebrochen….
Der Feiste Tod:
Und gegenseitig habt ihr Menschen euch Knüppel zwischen die Beine geworfen, so daß ihr gegen alle Verabredung und jede Gewähr ganz untragisch hingefallen seid.
Tod:
An den geborstenen Ufern blieb wie Gesang das Weinen.
Der Feiste Tod:
Denn ihr Menschen vermochtet nicht einmal, den Zahn aus dem Munde eures Vormunds auszubrechen.…
Tod:
In alle Abgründe war mein Erbarmen gebettet, waren wie Rettung meine funkelnden Sicheln aufgestellt; aufzufangen die Flucht der Gejagten, den Lauf der Gepeinigten, den Sturz der Gehetzten. Mit großen Körben war ich bereit, einzuernten in die Kelter Gottes alles was fiel.…Und impfte die Lust mit dem Keim der Zeit.
Der Feiste Tod:
Nun ist viel Wurzelwerk unter euch Menschen gewachsen; denn die Frischlinge, die ihr oben treibt, gehen immer wieder vor das Messer. Darum habt ihr die Pfeifen ausgeklopft und meint: Ernster kann es nicht werden mit uns.…
Tod:
Nach vielen Gezeiten verlor sich allmählich mein Wesen. Gedanken, wie Anker geworfen in die Weite des Raums, fanden Untiefen nicht mehr….Ich verrann. Ich versandete in mir selbst…Ein schleichendes bleiches Gebrechen, geht das Sterben nun um und spült die Zeiten ab…Es wird unter Gottes gleichmütigem Antlitz das Leben eingestrichren wie ein unwillig gewährtes Darlehn. Plötzlich. Maschinell. Ungemahnt. Sachlich.
Der Feiste Tod:
Und ihr kleineren Menschen durchsucht den Kehrricht nach dem Kot eurer größeren Väter …und nervös haltet ihr eure Gesichter und Hände unter die Filter, durch die vormals Segen auf euch tropfte. Aber sie sind nunmehr verstopft vom Gestank der Städte. Wahrlich die Natur hat weit ausgeholt, als sie euch schuf; aber sie hat sich nicht einmal über den Bart gespuckt.
Tod:
Meinen alternden Zähnen mundet nicht mehr das faule Brot der Welt.
Der Feiste Tod:
Deinen alternden Zähnen mundet es nicht mehr. Aber schon sind Flammenkrallen angesetzt an das verwesende Fleisch dieser Welt.
Tod:
In meine Augenhöhlen ist Asche eingeweht. Mein Blick ist verwelkt.
Der Feiste Tod:
Dein Blick ist verwelkt. Aber schon sind eisige Augen geöffnet, diese Welt zu durchschauen.
Tod:
Wie ein Bettler vor angelehnter Tür teile ich mit mageren Hunden Knochengaben. Schlaf zehrt wie Meltau an mir.
Der Feiste Tod:
Wie ein Bettler verläßt du dein zerfallenes Reich. Aber schon reiten heran ungeheure Vernichtungen.
Tod:
Ein toter Tod bin ich. Ich ruhe an der Flut jenseits der schimmernden Inseln jenseits der schwimmenden Sterne.
Der Feiste Tod:
Ein toter Tod bist du. Aber ein neuer, bleich, feist und kreischend ist unterwegs, dein Erbe anzutreten und deine Saaten zu ernten. Auf freiem Marktplatz, in Kontoren, Parlamenten hält er seine Reden wie ein Philosoph und Kaufmann.
Tod:
Horch, der alte Wind streicht noch um diese schwangere Erde. Er ist noch nicht dahin. Wie kann denn ich vorbei sein?
Existenzberechtigung des „alten“ Todes
Die Gestalten des alten Gemäldefrieses
Über Kleider erhalten Menschen Rollen. Förderband. Versuche der Identifikation. Versinnbildlichung verschiedener Lebensausschnitte in verschiedenen Tänzen. Versuche individueller Lebensgestaltung. Die Tänze stehen für den Versuch des „alten“ Todes, seine Existenzberechtigung in Auseinandersetzung mit „feisten“ Tod „zu beweisen“. Sie enden in der Vereinzelung und der Vereinsamung der Tänzerinnen.
HORATIO
Rückkehr der Tänzerinnen. Anhäufung von Kultur (unten werden Kleider weggerissen, oben angehäuft und geordnet – Sisyphos). Erneute Ermahnungen. Unverständnis, Schlaf und Tod. Ende der „Beweisführung“ des „alten“ Todes.
Johannes der Offenbarung:
Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Chor :
Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.
Johannes der Evangelist:
Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde.
Lukas:
Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.
Chor: Selig.
Johannes der Offenbarung: Selig.
Johannes der Evangelist: Selig.
Knaben (Choral-Cantus):
Denn wer dich liebt, den liebest du, schaffst seinem Herzen Fried und Ruh, erfreuest sein Gewissen; es geh ihm wie es woll auf Erd, wenn ihn gleich ganz das Kreuz verzehrt, soll er doch dein genießen. Ewig selig nach dem Leide große Freude wird er finden; alles Trauern muß verschwinden.
Chor (Choral-Cantus, Sopran):
Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen. Wen suchn wir, der Hilfe tu, daß wir Gnad erlangen? Das bist du, Herr, alleine. Uns reuet unsre Missetat, die dich, Herr, erzürnet hat. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger barmherziger Heiland, du ewiger Gott, laß uns nicht versinken in des bittern Todes Not. Kyrieleison.
Matthäus:
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Lukas:
Selig seid ihr, die ihr hier hungert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr hier weinet; denn ihr werdet lachen.
Markus:
Wer sein Leben will behalten, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verlieret um meinet- und des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Viele aber werden die Letzten sein, die die Ersten sind, und die Ersten sein, die Letzten sind. Welcher unter euch will der Vornehmste werden, der soll aller Knecht sein. Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung für viele.
Matthäus:
Er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.
Lukas: Selig!
Chor: Selig!
Alle: Selig!…
Johannes der Offenbarung:
Und ich sah und hörte einen Engel fliegen mitten durch den Himmel und sagen mit großer Stimme: Weh, weh, weh denen, die auf Erden wohnen!
Chor:Weh!
Johannes der Offenbarung:
Und ein großer Hagel, wie ein Zentner, fiel vom Himmel auf die Menschen.
Und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde.
Und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer.
Und es ging auf ein Rauch, wie ein Rauch eines großen Ofens, und es ward verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch. Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde.
Und die Heuschrecken sind gleich den Rossen, die zum Kriege bereitet sind; und hatten Panzer wie eiserne Panzer, und dAs Rasseln ihrer Flügel wie das Rasseln an den Wagen vieler Rosse; und hatten Schwänze gleich den Skorpionen; und ihre Macht war, zu beschädigen die Menschen. Und also sah ich die Rosse im Gesicht und die daraufsaßen, daß sie hatten feurige und bläuliche und schweflige Panzer; und die Häupter der Rosse waren wie die Häupter der Löwen, und aus ihrem Munde ging Feuer und Rauch und Schwefel.
Weh denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.
Chor: Weh
Johannes der Offenbarung:
Und die Kaufleute auf Erden werden weinen und Leid tragen. Und alle Schiffsherren und der Haufe derer, die auf den Schiffen hantieren, und Schiffsleute, die auf dem Meer hantieren, standen von ferne und schriien, da sie den Rauch von ihrem Brande sahen, und sprachen: Weh, weh, die große Stadt, in welcher reich geworden sind alle, die da Schiffe im Meer hatten, von ihrer Ware! denn in einer Stunde ist sie verwüstet.
Chor: Weh!
Johannes der Offenbarung:
Und die Stimme der Sänger und Saitenspieler, Pfeifer und Posauner soll nicht mehr in dir gehört werden, und kein Handwerksmann irgend eines Handwerks soll mehr in dir gefunden werden, und die Stimme der Mühle soll nicht mehr in dir gehört werden, und das Licht der Leuchte soll nicht mehr in dir leuchten, und die Stimme des Bräutigams und der Braut soll nicht mehr in dir gehört werden! Denn deine Kaufleute waren Fürsten auf Erden.
Existenzberechtigung des „feisten“ Todes
Dialog
Das zweite Gespräch beider Tode - im Anschluß an den fragwürdigen Beweis der Existenzberechtigung des alten Tods - eröffnet die Beweisführung des feisten Tods. Ankündigung der Katastrophe.
Tod:
Ich bin geblieben. Ich bin das Gesetz. Ich bin Ebbe und Flut. Jugend und Alter. Licht und Finsternis. Ich bin die Ursache aller Bewegung und des Lebendigen Urgrund. Die Mutter der Mütter, der Vater der Väter, der Gott des Getiers, den sie fürchten. Die Verwandlung der Steine, Frühling und Herbst der Bäume. Ich bin die Freude des Säens und Zeugens. Und nur für das Alter ein bittrer Geschmack.
Preist ihr den Jungstier mit dicken Hörnern?
Preist mich!
Und eures Ackers fruchtbar feuchten Boden?
Preist mich!
Und eure Tage, die in Nächten, schwer wie Korn, zu Ende gehen?
Preist mich!
Ich bin in euren Adern mit den Fluten des Aufstiegs und mit allen Finsternissen der Niederungen und der Pein.
Ich bin der Laut in euch, der Sitz der Orte und das Erlebnis.
Preist mich!
Wenn ich euch peitsche, immer noch laß ich die Lust euch, ihr zu sein. Bis ihr mich anerkennt, hinsinkt. Dann wird es kühl. Und still. Und ich beginne erneut, das Männliche vom Weiblichen zu spalten, daß Wachstum werde.…
Der Feiste Tod:
Du hast geschrien.…Was willst du? Der Tod durch alte Seuchen ist überflüssig. Man stirbt heute anders. Zwar, man stirbt. Doch aufgeklärter, als Stück der Masse Mensch. Der eigne Tod, den jeder in sich trägt, braucht nicht Gestalt. Es ist nicht Zeit dafür, ihn rund herum zu kenn. Die Wiegenlieder, die er singt, erfuhr man längst aus alten Bilderbüchern. Maschinen haben eine neue Welt gebildet, gezeugt, was zu erzeugen war, den alten Ablauf, doch anders eingekleidet. man ist sehr demokratisch. Man erkennt mich an. man grüßt mich höflich auf den Promenaden. Schlagworte prangen: Fortschritt und Entwicklung. Fortsetzung einer Weltgeschichte mit dem Ziel nach oben. Was dann beim alten bleibt, glaubt man mit dummer Weisheit besser zu ertragen.
Tod:
Du tönst nicht anders als in wilden Jagden ich. Ist das ein Unterschied: Pest oder Krebs? Geschliffene Klinge oder die Trommeln eines Walzwerks?
Der Feiste Tod:
Wir sind dabei zu streiten. Du bist im Nachteil. Deine Waffen: Geschichte und Erinnerung. Nicht viel, wenn man sich nicht hineinversenkt mit Inbrunst oder Zorn. Nur weiche und gepflegte Herzen können an deinem Zirpen zu Bruch gehen. Ich stehe im jetzt, und was ich tue, schmerzt.
Tod:
Der Vorteil ist schon morgen ausgelaugt. Auch stimmt es nicht, dies Einst und jetzt. Ein Sturm wie aus dem Nordpolloch des Himmels hat mich für diese Nacht geweckt -
Der Feiste Tod:
Damit ich zeige, was ich kann.
Tod:
Es wird nichts andres sein, als was ich kann und konnte.
Der Feiste Tod (brüllt):
Straße frei!
Tod:
Verjagen willst du mich?
Der Feiste Tod:
Ich kommandiere.
Tod:
Wem gilt das?
Der Feiste Tod:
Straße frei, Straße frei!
DIE ZERSTÖRUNG DER STADT
Das Glockenspiel von St. Marien
Die Zerstörungstätigkeit beginnt als Apathie der Menschen. Ignorant gegenüber den eigenen Zerstörungspotentialen, erleben sie den Ausbruch der Zerstörungsmaschinen als eigene Ohnmacht - und als Versuch, sich und das eigene Leben zu retten. Doch dieser Rettungsversuch der Individuen ist voller Aggressivität und endet in einem sozialdarwinistischen Kampf ums Dasein, bei dem nicht nur der Kleiderberg sondern auch das eigene Leben, jegliches Leben, zerstört werden muß. In der Eskalation der Zerstörung, die letztendlich nur noch global gedacht werden kann, liegt der Beweis der Existenzberechtigung des feisten Tods.
Trauermusik
Stillstand
Chor: Nun lasset uns den Leib begrabn und daran keinen Zweifel habn, er wird am jüngsten Tag aufstehn und unverweslich hervorgehn.…
Knaben (Choral-Cantus): Mein Zeit ist mnun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben ist mein Gewinn; kein Bleiben ist auf Erden; das Ewge muß mir werden, mit Fried und Freud ich fahr dahin.
HORTATIO
Beginn neuen „Lebens“, the day after - wie immer er aussehen könnte…
Johannes der Offenbarung:
Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken.
Und ich bin Johannes, der solches gesehen und gehört hat. Und da ich’s gehört und gesehen, fiel ich nieder, anzubeten zu den Füßen des Engels, der mir solches zeigte.
Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung in diesem Buch; denn die Zeit ist nahe!
Wer böse ist, der sei fernerhin böse, und wer unrein ist, der sei fernerhin unrein; aber wer fromm ist, der sei fernerhin fromm, und wer heilig ist, der sei fernerhin heilig.
Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden. Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.
Matthäus:
Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr.
Lukas:
Selig seid ihr, so euch die Menschen hassen und euch absondern und schelten euch und verwerfen euren Namen als einen bösen um des Menschensohnes willen. Weh euch, wenn euch jedermann wohlredet!
Markus:
Und er lehrte sie und sprach zu ihnen: Sehet euch vor! Vor Fürsten und Könige müßt ihr geführt werden um meinetwillen. Und ihr werdet gehasset sein von jedermann um meines Namens willen.
Matthäus:
Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.
Markus:
Wer aber beharret bis an das Ende Ende, der wird selig.
Lukas:
Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.…
AUSZUG
(verfremdet) „Verzweifelte“ Rückkehr zum Ausgangspunkt der „Vernunft“. Zitate, Reste der Renaissance. Eine Erinnerung an die Tänze des Anfangs. Dieses „Wiederaufleben“ von Kultur funktioniert für den Betrachter wie der Vorschein neuer Katastrophen. In dem zwanghaften und verzweifelten Versuch der rückkehr zu den alten Ritualen schließt sich die Krebsfigur - und der „virus apokalyptikus“ bleibt unserem menschlichen Miteinander inhärent. Die Frage nach dem Moment der Versöhnung bleibt unbeantwortet.
Die arme Seele des guten Menschen
(letzter gemeinsamer Satz der Tänzerinnen)
Und sie beschlossen, sich weiter zu verändern. Sie griffen tiefer in sich ein als zuvor.
Dialog
Resumée der beiden Tode; kurzer, fragwürdiger Ausblick
Tod:
Was folgt aus diesem Schauspiel?
Der Feiste Tod:
Du mißverstehst. Bemerkenswert an diesem kleinen Ausschnitt gegenwärtigen Geschehens ist die Ordnung.…Das Schicksal hat nicht mehr den Namen eines Menschen, es heißt System.
Tod:
Die Kläger, Richter, Henker, Priester verschuldeten den Feuertod der Häretiker und Hexen nicht; - vielmehr die unheilvolle Kraft, die System genannt hat.…Ich sehe den Unterschied zum Heute nicht.
Der Feiste Tod:
Die Möglichkeiten sind gewachsen.…Es rollt ein Stein, der zur Lawine wächst. Im Augenblick schon donnert es um diese Erde. man hat sehr viel gebraut, das, fließt es aus, die reichste Ernte gibt, die je in kurzer Zeit den Todessensen fiel. Ich sage Worte. Ihr Gewicht wird erst in Zukunft ganz zu fassen sein. An Leichenhaufen, wo die Stückzahl mensch nach zehnmillionen abgerechnet wird. Danach, wenn Zeiten wieder wuchsen, sich abgelagert das Verwesliche, in Trümmer Siedlungen und Städte fielen, wird wieder Landschaft sein. Gras, Bäume, lustige Gewässer.
Tod:
Du sprichst von was?
Der feiste Tod:
Von einer Zukunft.
Ergänzende Texte aus dem Programmheft1:
„Man braucht endlos Zeit, um mit Denken anzufangen, eine endlose Energie, um die kleinste Entscheidung zu fällen. Die Dichte der Welt nimmt zu. Die Vielfalt der nutzlosen Unternehmungen ist bestürzend. Man muß zu viel hineintun, um eine ungewisse Balance zu halten. Man kann nicht mehr verschwinden. Man stirbt in totaler Unentschlossenheit.“
Jean Baudrillard
„Das Individuum ist deswegen nicht wenigerentfremdet, weil man alles über es weiß, sondern in Not, weil man von uns verlangt, alles über uns selbst zu wissen: Prinzip einer neuen und endgültigen Verknechtung.“
Jean Baudrillard
„Die Leute, die das Unbestimmte verlassen, um zu versuchen, irgend etwas von dem, was in ihrem Geist vorgeht, zu präzisieren, sind Schweine.“
Antonin Artaud
„Unsere Scheußlichkeit verhält sich umgekehrt zu der früherer Jahrhunderte. Sie tilgt Blut und Grausamkeit durch Objektivität.“
Jean Baudrillard
„Das ist die so unwahrscheinlich gefährliche und heimlich ihr Unwesen entfaltende Gewalt: sie hat dem Schrecken, dem Tod, dem schicksalhaft zuschlagenden Zufall die Gewalttätigkiet genommen. Das Erschreckende dieser Kultur ist, daß sie kein Erschrecken mehr zuläßt. Das ist Raffinesse, das ist teuflisch.“
Karl Kollmann
„Nicht mehr sind es Mörder und Wegelagerer, die die Welt gefährden, die anständigen Leute mit Ehrbegriffen bringen das Kaos des Untergangs.“
Hans Henny Jahnn
„Nein – die wissenden Klugscheisser, die Auf + Abgeklärten, werden mir den Knochenkerl nicht nur aus den Bildern rausbringen, nicht aus diesem Kaleidoskop, das mir im Kopf klötert. Wie immer ich's auch schüttel + rüttel, ER ist mit im Bilde.“
Horst Janssen
„Das Altern hat mit biologischem Fälligwerden nichts zu tun. Es ist die immer länger werdende Spirale der Trennung von der physischen und intellektuellen Disponiertheit der Jugend. Eines Tages wird die Spirale so lang sein, daß es keine Aussicht auf Rückkehr mehr gibt. Die Parabel wird exzentrisch und der Höhepunkt des Lebens verliert sich im Raum. Gleichzeitig kommt das Echo der Vergnügen in der Zeit immer schneller zurück. Die Lust an der Lust vergeht. Man erlebt die Dinge nostalgisch, als Echo eines früheren Lebens.“
Jean Baudrillard
„Zweifellos hatte ich gelernt, mich dem Tod zu nähern, und daher erschienen mir alle Dinge, sogar die grausamsten, nur noch unter dem Aspekt ihres Gleichgewichts, bei völliger Unwichtigkeit ihres Sinns.“
Antonin Artaud
„All diese armen Alten, diese Meerschweinchen des Pensionsalters, die hofften, von Sex und Arbeit endlich erlöst, sich in einer Art Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und in vorweggenommenem Genuß des Todes, was sicherlich die beste Art zu altern ist, ausruhen zu können – es ist nicht gesagt,
daß man ihnen am Ende des Weges einen Strand
28.||||.1992, 17.04 Uhr
Madrid. Francis Bacon ist tot.
lassen wird, nein, man muß sie bis zum Ende verfolgen, sie recyclen, sie libidinisieren (begehrt! genießt! es ist nie zu spät) und kulturisieren (Theater, Kino, freie Diskussionen, Yoga, Musik des 16.Jahrhunderts) – ihnen wird nichts erspart, damit sie auch sicher als Idioten sterben.“
Jean Baudrillard
„Die Arbeit ist ein langsamer Tod. Man versteht das im allgemeinen im Sinn einer körperlichen Erschöpfung. Es ist aber anders aufzufassen: die Arbeit ist nicht als eine Art tod dem 'erfüllten Leben' entgegengesetzt, wie es die idealistische Sichtweise will, sondern sie stellt sich als langsamer Tod dem gewaltsamen Tod entgegen. Das ist die symbolische Wirklichkeit. Die Arbeit widersetzt sich als aufgeschobener Tod dem unmittelbaren Opfertod.“
Jean Baudrillard
„Der Mann auf der Straße, auf die mögliche Apocalypse aufmerksam gemacht, hat zumeist eine verblüffende Antwort bereit: Dann ist es eben vorbei. Man könne sowieso an der Entwicklung nichts ändern. – Ist es so weit, daß der Mensch keine eigentliche Lust am Dasein mehr kennt? Lebt er, ohne das Leben mit Überzeugung zu wollen? Oder ist es nur der kollektive Tod, der ihn nicht erschüttert? Wird seine Empfindungsqualität so klein, weil die vorgestellte Zahl so groß ist? – Wahrscheinlich reagiert er als Unzufriedener, der der mechanisierten Umwelt nicht mehr entrinnen kann. Die Fabrik, sein Arbeitsplatz bestimmen das für ihn gültige Gesetz gemeinsam mit den Forderungen des Staates, der ihn von der Geburt bis zum Tode nicht in seiner Würde, sondern in seiner Brauchbarkeit erfaßt.“
Hans Henny Jahnn
„Nein, ein solches Grossaufräumen,
solch' blindwütiger Frühjahrsputz, auf den wir spekulieren und den wir mit den Wörtern >Pest<, >Aids<, >Hunger< und >Krieg< und in summa
als >Apokalypse< belegen – das ist die langweiligste, dümmste, unerheblichste, wenngleich wohl sporadisch notwendige Variante im Geschäft des Wetzels – im Wetzelverstande tabula rasa aus Resignation.“
Horst Janssen
„Es ist eben der von den Medien produzierte Ersatz der Ereignisse, der Gedanken, der Geschichte. Er bringt es fertig, daß diese Ereignisse zu existieren aufhören, ja sogar aufhören, existiert zu haben, und zwar in dem Maße, in dem sie untersucht und in Details zerlegt unter die Lupe genommen werden, um den Ursachen auf die Spur zu kommen…“
Jean Baudrillard
„Die Geschichte hat keinerlei Sinn: wir haben also Grund zur Freude. Sollten wir vielleicht Qualen ausstehen um eines günstigen Ausgangs des Geschehens willen, um eines letzten Festes willen, dessen Kosten von unserem Schweiß und unserem Scheitern bestritten würden? Künftigen Idioten zuliebe, die über unsere Qual frohlocken und auf unserer Asche umherhüpfen? Die Vision eines paradiesischen Endzustandes übertrifft in ihrer Absurdität die schlimmsten Verirrungen der Hoffnung. Alles, was man zur Entschuldigung der Zeit vorbringen könnte, wäre, daß man in ihr Augenblicke findet, die einträglicher sind als andere, folgenlose Zufälligkeiten inmitten der unerträglichen Monotonie unserer Ratlosigkeit.“
E.M. Cioran
„Man darf die menschliche Geschichte nicht betrachten, wenn man sich eine Spur von Hoffnung bewahren will, daß wir auch weiterhin davonkommen.“
Hans Henny Jahnn
„Sollten wir je Opfer privater Aggression werden, sei es von poltischen Aktivisten oder von dummen Schlägern mit einem Revolver in der Hand, müssen wir uns damit trösten, daß wir damit teilhaben am menschlichen Wesen. Das ist nicht gerade ein tröstlicher Schluß, aber mehr habe ich nicht anzubieten.“
Anthony Burges
„Daß alles zum Verschwinden verurteit ist, löst in uns ein unerträgliches Gefühl aus. Dieses Gefühl ist um so stärker, wenn es der Tod ist, der verschwindet.“
Jean Baudrillard
„Ist die Atomexplosion in unserer Vorstellung nicht ein totales Ereignis, ohne Morgen, während sie doch einfach nur zur ökologischen Regression der menschlichen Gattung führt? Das ist uns ja alles längst bekannt, wir sind doch gerade daraus hervorgegangen. Wir träumen von etwas, das nicht auf der menschlichen Skala liegt: wie könnte die Erde aussehen, wenn wir nicht mehr da sind? Wir träumen, die Welt in ihrer vom Menschen befreiten Reinheit zu erblicken (was keineswegs der Naturzustand wäre), im Zustand formaler Grausamkeit. Mit einem Wort: wir träumen von unserem Verschwinden.“
Jean Baudrillard
1 Zitate in Reihenfolge: Jean Baudrillard, Cool Memories 1980 – 1985, München 1989, S.122, 107, 22, 172, 114; Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982, S.69/70; Baudrillard: Zu spät, Zeit 5.2.1988; Baudrillard: Cool Memories (s.o.) S.233, S.149. S.222; außerdem Antonin Artaud: Frühe Schriften,München 1983, S.91 aus 'Die Nervenwaage', S.125 aus 'Brief an die Hellseherin', s. auch dort 'Die Kunst und der Tod'; Karl Kollmann: Die Sanfte Gewalt, in Gesichter der gewalt, Konkursbuch, Tübingen 1978, S.163; Hans Henny Jahnn zit. aus: Das Hans Henny Jahnn Lesebuch, Hamburg 1984, S.15, 78, 104; Horst Janssen: Hommage à Tannewetzel, Neujahrsrede in St. Marien zu Lübeck, Hamburg, Lübeck 1987, S.32, 19; E.M. Cioran: Lehre vom Zerfall, Stuttgart 1987, S.181.