Showdown eines Trinkers
NDR, Schleswig-Holstein Magazin, 5.11.1994, Bericht: Thomas Willam, Interview mit
Linde Fröhlich, Leiterin des Filmforum Schleswig-Holstein
Willam: "Einen Film wollen wir uns gleichzeitig schon mal ansehen; das ist "Sööpsch", genannt auch Showdown eines Trinkers und vielleicht können Sie kurz sagen: wie ist die Geschichte dieses Films, der ja in Lübeck spielt."
Linde Fröhlich: "Der Film spielt im Lübecker Domviertel und zeigt eigentlich den letzten Tag in einer Kneipe für die Leute, die Stammkunden in dieser Kneipe sind und vor allen Dingen für den Architekten Hutsch, der eigentlich einen Auftrag termingerecht fertig bringen soll..."
Willam: "Aber er ist ein Säufer, muß man mal klar sagen."
Fröhlich: "Und Hutsch ist ein Trinker, ein ordentlicher Säufer und er nutzt natürlich jede Gelegenheit... sich ablenken zu lassen und nicht an die Arbeit zu gehen. Vor allen Dingen freut er sich darüber, daß er Besuch von seiner Tochter bekommt..."
Willam: "Und es ist ein sehr sensibler Film. Wir sehen gerade diese Szene, wie er tanzt mit der Tochter; es ist Musik drin..."
Fröhlich: "Er freut sich, sie sind lustig, sie machen einen Ausflug und lassen sich selbst von dem schlechten Wetter, daß wir ja leider manchmal in Norddeutschland haben, nicht davon abbringen: sie versuchen, diesen Tag zu genießen, aber dieser Tag endet ..in der Kneipe."
Willam: "Das hören wir jetzt..."
Ausschnitt
Willam:"Ja, Frau Kunsemüller, es passiert also was im schleswig-holsteinischen Filmesn, haben wir eben gesehen."
Ein Tag im Hochsommer ́93. Zwischen zwei Gruben einer verschlafenen Stadt im Norden pulsiert der Alltag. Es mag den Anschein erwecken, alles sei wie immer. Der Angler an gewohnter Stelle, die drei alten Freunde holen Brötchen, die Friseuse putzt Fenster, Schulkinder warten auf den Bus. Dennoch ist heute ein besonderer Tag für das Viertel. Der Wirt der Eckkneipe fährt ab morgen in den Urlaub, d.h. Scheiße geschlossen! Die Kneipenfußballmannschaft hat ihr letztes Spiel und hegt noch vage Hoffnung auf den Titel. Dazwischen Hutsch, ein freiberuflicher Architekt zwischen Suff und immer näher rückendem Abgabetermin seines Auftrags. Er hatte die Schnapsidee, sich durch ein morgentliches Bad frisch zu schwimmen, um darauf endlich den Auftrag wieder aufzunehmen, den er vor geraumer Zeit aus Wut hatte fallen lassen. Denn morgen, das war ihm klar, wollte er selbstverständlich seine Idee präsentieren, daß es nun, wie schon so oft zuvor, auf letzte Sekunde passieren würde, beunruhigte ihn noch nicht. Dennoch ist heute ein besonderer Tag, auch für ihn. Denn kaum hat er einen Anfang gemacht, klingelt es an der Tür und wer steht da, nein, nicht etwa seine ihm stets nachstellende Auftraggeberin, sondern seine Tochter, 12 Jahre, auf Klassenfahrt, vier Stunden Aufenthalt. Sie nutzen kurzentschlossen die verbleibende Zeit für eine Fahrt
in ́s Blaue, einen Gassenhauer aus vergangenen Zeiten auf den Lippen: den „Wibberlee-Wobberlee“ Song. Zu guter letzt werden sie von einem kräftigen Gewitter überrascht. Wieder alleine landet Hutsch direktemang am Tresen. Der Wirt weiß um seine emotionale Beschaffenheit und läßt ihn in Ruhe. Stillschweigend schiebt er dem Verbündeten das eine oder andere Getränk herüber. Es war ihm nicht entgangen, daß Hutsch Besuch hatte. Die Kneipenfußballmannschaft kommt zurück, untersetzte versoffene Körper in zu straffen, dampfenden Trikots, Fußballstiefel auf nassem Kopfsteinpflaster, 4:4. Der Trainer ist ausgesandt, die anderen Ergebnisse einzuholen. An einem Tisch sitzt eine Horde Radfahrer, deren Zeitplan durch das Unwetter durcheinandergebracht wurde, Sie vertreiben sich die Zeit, indem sie stinkende Brote auspacken. Die RadlerInnen beißen knackend in saftig, saure Äpfel. Die behaarten Waden sind verhärtet. Die nervös tippelnden Füße schweißen in den Sandalen fest, das gibt unglaubliche Geräusche. Hutsch hofft, daß denen allmählich mal die Räder geklaut werden. An einem anderen Tisch versucht man dem Phänomen näher zu kommen, wie nun eigentlich eine Frau wirklich schwanger wird. Keiner weiß was Genaues. Der Abend nimmt seinen Lauf und Hutsch kann sich nicht loseisen. Am Tresen sitzt plötzlich eine Fremde, die ihm
ihr Erlebnis des Tages erzählt; das weht ihn an. So gerät Hutsch doch noch in den Band-Auftritt. Hutsch verlässt die Kneipe: Schluckauf und Gewitter, Tochter und Auftrag, Fische und Suff, was für ein Tag. Die Nacht verbringt er doch noch mit der Fertigstellung eines neuen, größeren Modells. Hutsch verausgabt sich bis zur totalen Erschöpfung. Das richtige Getränk
zur jeweils richtigen Zeit. Schließlich feiert er im Morgengrauen ein kleines Richtfest - nur für sich. Plötzich geht es ihm erschreckend schecht. Er reißt sich das Hemd auf; die Knöpfe springen; er ringt nach Luft. Seine Hand zerrt am Hemdenkragen und verkrampft sich, seine Augen treten hervor. Sein geöffneter Mund ist trocken. Die Zunge liegt speichellos darin.
Selbst nach Jahren ist seine morgentliche Rede an die Fußballtrikots unvergessen:
Ihr spielt nicht für das Publikum.